Ein verwegener Gentleman
Elizabeth“, murmelte er ernst. „Wie es scheint, war es ein knappes Rennen, wem Sie heute Ihre Begleitung gewähren würden: mir oder dem Pfarrer. Ich bin sehr froh, dass Sie so vernünftig waren, mich gewinnen zu lassen.“
Elizabeth ballte die Fäuste vor Wut über seine glattzüngige Ironie. Als er ihr jedoch den Arm bot und mit einer Kopfbewegung andeutete, dass er bereit wäre aufzubrechen, zögerte sie kaum, ihm zu folgen.
„Schämst du dich für mich?“
Ross streckte seine langen Beine aus. Er hielt die Zügel locker in einer Hand. Die perfekt aufeinander abgestimmten Grauen waren tadellos erzogen, und der Landauer rollte gleichmäßig dahin. „Mich für dich schämen?“, fragte er mit gerunzelter Stirn.
„Ich dachte, wir würden in den Hyde Park oder vielleicht nach St. James fahren. Wir sind jetzt seit einer vollen Stunde unterwegs. Fahren wir nach Richmond?“ Sie warf ihm einen Seitenblick zu, bevor sie mit lieblicher Stimme fortfuhr: „Nein? Nun, ich nehme an, Sie meiden die beliebten Orte, damit uns die Klatschtanten nicht entdecken. Und ich verstehe Ihre Befürchtungen, Mylord. Man könnte Vermutungen anstellen, weshalb ein begehrter Adeliger eine skandalumwitterte Jungfer begleitet.“
Er lenkte die Kutsche auf den seitlichen Grünstreifen und hielt sie so abrupt an, dass Elizabeth mit einem überraschten Laut gegen ihn fiel. Sie richtete sich auf und blickte sich beunruhigt um. Sie war so in ihre Selbstvorwürfe vertieft gewesen, Jane Selby im Stich gelassen zu haben und ihm an allem die Schuld zu geben, dass ihr gar nicht aufgefallen war, wie ländlich die Umgebung inzwischen geworden war.
Elizabeths Herzschlag beschleunigte sich. Rasch warf sie ihm einen abschätzenden Blick zu. Er lehnte sich zurück und betrachtete sie in einer Art, die ihre Befürchtungen keineswegs linderte. „Wo sind wir?“, fragte sie.
„Etwas außerhalb von London …“
„Außerhalb von London?“, wiederholte sie entsetzt. „Dreh sofort um. Ich habe dir nicht erlaubt, mich aus der Stadt hinauszubringen.“
Er brach in Lachen aus. „Habe ich deine Erlaubnis, dich nach London hineinzubringen, Mylady? Ich bin gerne bereit, die Grenze sofort wieder zu überqueren.“
Sie errötete heftig. Er hatte sie doch sicher nicht in die Wildnis gebracht, damit sie ihre Verpflichtung wegen der Rückgabe der Halskette erfüllte? Es war helllichter Tag! „Fahr mich sofort wieder nach Hause! Unverzüglich!“
Er ließ seinen Blick über ihr Gesicht, ihre zierliche Gestalt wandern. „Du hast einmal gesagt, du hättest keine Angst vor mir …“
Sie sah mit riesigen veilchenblauen Augen zu ihm hoch. „Habe ich auch nicht … Weshalb sollte ich?“, fragte sie heiser.
„Ich weiß es nicht, Elizabeth. Doch ich habe den starken Eindruck, dass du Angst hast … meistens … selbst jetzt, wo wir bald verheiratet sind. Ich möchte aber keine Frau, die sich vor mir fürchtet.“
„Oh, na schön, in dem Fall habe ich entsetzliche Angst …“, murmelte sie.
„Mein Gott, was bist du doch für ein aufreizendes kleines …“ Er brach seufzend ab und packte sie an der Schulter.
Elizabeth schlug seine Hand weg. „Was tust du da?“, zischte sie ihn an und presste sich in die Sitzpolster.
„Ich möchte meine Verlobte küssen …“
„Nun, tu das nicht!“, rief sie und hob abwehrend eine Hand. „Es wird sowieso Zeit umzukehren.“
„Ich werde umkehren, wenn ich das erreicht habe, was ich will, und nicht eher.“
Elizabeth versteifte sich. „Und das wäre?“
„Ich will mit dir reden. Es gibt so vieles, das wir ausführlich miteinander besprechen müssen. Hier sind wir ungestört.“ Er lächelte ihr ermutigend zu. „Ich werde damit beginnen, indem ich deine anfängliche Frage beantworte: Nein, ich schäme mich keineswegs für dich, Elizabeth. Ich schere mich keinen Deut darum, was die feine Gesellschaft von mir oder dir hält. Und was deine Kleidung betrifft: Ein schäbiges Kleid beeinträchtigt deine Anziehungskraft überhaupt nicht. Du siehst immer bezaubernd aus, egal, was du anhast. Außerdem interessiert mich das, was sich unter der Oberfläche befindet. Dein Charakter und deine Persönlichkeit“, erklärte er ernst. Sie sah ihn misstrauisch an. „Aber du hast richtig geraten: Ich habe die Stadt gemieden, weil ich noch nicht bereit bin, unsere Beziehung öffentlich zu machen.“
Als sie schwieg, fragte er trocken: „Möchtest du nicht wissen, weshalb das so ist?“
„Nein, das kann ich
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