Ein weißes Land
rastlosen Treibens der aus den U-Bahnschächten wie Ameisen hervorquellenden Berliner, war ich zwar verunsichert, doch auch neugierig. Immerhin konnte ich dort ab und an Frauen sehen, die meine Fantasie beflügelten. In der Villa blieb mir nur die Kammer, die ich mit Fadil teilte und die in den Nächten von unserem Seufzen erfüllt war. Woran wohl mochte er denken, wenn er sich in die Decken zwischen seinen Schenkeln ergoss, um danach den schweren Atem zu unterdrücken?
Immer, wenn mein Herr etwas weniger wichtige Leute zu treffen hatte und zu diesem Zweck die weitläufigen Hallen des Hotels nutzen wollte, lebte ich auf, obwohl dies auch viele unbequeme Stunden auf der Türschwelle bedeutete.
Eines Nachts wurde ich wieder durch Schritte geweckt. Ich öffnete die Augen und blinzelte, um die Gestalt im matten Licht des Ganges erkennen zu können. Es war eine Frau, die sich unsicher auf mich zubewegte, die Arme ausgestreckt, um die Balance zu halten. An der Kleidung erkannte ich, dass sie nicht zum Personal gehörte. Außerdem war sie barfuß, was ich in diesem Haus noch nie gesehen hatte. Sie näherte sich mit entgeistertem Gesichtsausdruck und blieb unmittelbar vor mir stehen.
»Was tun Sie da?«, flüsterte sie.
Ich setzte mich auf, rieb mir die Augen und lehnte den Rücken gegen die Tür.
»Ich schlafe.«
»Warum hier?« Sie war so erstaunt, dass sie in normaler Lautstärke sprach.
Ich legte den Finger an den Mund und wies hinter mich. Sie nickte zustimmend und hockte sich nieder. Ich registrierte ihre Alkoholfahne und war doch erstaunt über den klaren, durchdringenden Blick, den sie auf mich richtete. Sie war um einiges älter als ich, hatte grüne Augen, die sogar im Licht der abgeschirmten Wandleuchter auffielen. Ihre Gesichtszüge waren sanft, nur der Mund ließ eine merkwürdige Härte erkennen; sie stieß ihre Worte hervor.
»Ich hatte Angst, als ich Sie hier sah«, sagte sie. »Niemand liegt in diesem Hotel vor der Tür.«
»Ich schlafe hier«, wiederholte ich, für eine Erklärung war ich zu müde.
»Ja«, flüsterte sie, »aber warum? Sind Sie ein Diener?«
»Ein Diener«, bestätigte ich.
»Das ist ja schrecklich. Wem dienen Sie?«
Ich erklärte es ihr, so gut ich konnte. Sie ließ sich unvermittelt zurückfallen und saß nun vor mir. Das war seltsam, doch ließ ich mir die Überraschung nicht anmerken. Verstohlen blickte ich über ihre Schulter den Gang entlang und lauschte dabei auf eventuelle Geräusche aus der Suite hinter mir. Ihr Blick hatte sich verändert, die Verwunderung war der Neugier gewichen. Ich strich mir die Haare aus der Stirn und sagte langsam:
»So ist es Sitte. Ich darf nicht im gleichen Raum schlafen.«
»Aber das ist traurig«, sagte sie lächelnd.
»Nein. Ich habe es gut hier.«
»Es ist traurig«, wiederholte sie bestimmt. »Eigentlich sollte man das nicht erlauben. Die Decke, auf der Sie liegen, ist auch viel zu dünn. Sie sind doch ein erwachsener Mann, wie kann man Sie so behandeln?«
»Es geht mir gut.«
Mich störte diese Art von Gespräch. Ich hätte vieles erklären müssen, was sie nicht verstehen würde.
Sie neigte sich zu mir und blickte andeutungsweise um sich, als wolle sie mir ein Geheimnis anvertrauen.
»Ich habe es in meinem Zimmer nicht ausgehalten. Wissen Sie, warum? Es gibt dort ein Geräusch, das man nicht abstellen kann.«
Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. »Ein Geräusch«, wiederholte ich.
»Ja. Es ist nicht laut, aber ich kann dabei nicht schlafen. Nur in der Nacht ist es da.«
»Das ist schrecklich«, sagte ich genau so, wie ich es kurz zuvor von ihr gehört hatte.
Wir schwiegen ein paar Sekunden, die Frau starrte auf die Tür hinter mir und dachte nach.
»Hier haben Sie doch gar nichts«, stellte sie fest. »Wie halten Sie das bloß aus?« Sie wartete nicht auf eine Antwort. »Na, immer noch besser, als dieses Geräusch.« Sie blickte mir wieder in die Augen. »Wollen Sie es hören?«
Ohne zu zögern, sagte ich ja. Die Frau stand auf und reichte mir die Hand. Ich erhob mich ebenfalls.
»Ich darf nicht weg«, wandte ich ein.
»Es ist mitten in der Nacht«, sagte sie kopfschüttelnd. »Was soll denn geschehen? Niemand merkt etwas.«
Es war ihr ernst damit, mich in ihr Zimmer mitzunehmen; sie ließ meine Hand nicht los. Ich dachte über die Folgen nach, sah meinen Herrn verärgert nach mir suchen, ja, sogar in seinem Blut liegen, ermordet von Feinden, die auf genau diesen Moment gewartet hatten. Doch ich ließ mich
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