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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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endgültig gebrochen ist. Dann werden wir im Triumph heimkehren und unser Recht bekommen.«
    Die gute Stimmung in unserer luxuriösen Unterkunft wurde getrübt durch einen Konflikt, den die Frau des Großmuftis heraufbeschwor, indem sie darauf bestand, dass Fadil und ich jeden Morgen die Hotelsuite putzten. Ich hatte ihre Unzufriedenheit bereits kurz nach unserer Ankunft bemerkt; sie ließ uns nicht aus den Augen und schien darüber nachzudenken, welche Aufgaben sie uns zuweisen könnte. Es leuchtete ihr einfach nicht ein, dass wir nur als Bewacher im Gefolge ihres Mannes fungierten, noch dazu, wo wir keine Palästinenser waren. Ich wusste, wie wichtig es war, sie irgendwie zufriedenzustellen, da sie durchaus Möglichkeiten hatte, uns das Leben hier zu vergällen. Also gab ich mir alle Mühe, in ihrer Nähe betont freundlich und fügsam zu sein, was ihren herrischen Drang allerdings nur anstachelte. Mit zusammengekniffenen Augen folgte sie jedem meiner Schritte, wartete auf Fehler und ärgerte sich offensichtlich darüber, dass sie keinen fand.
    Schließlich öffnete sie eines Morgens die Tür, stieß mich mit dem Fuß an und gab mir unter energischen Gesten Anweisung zu putzen. Die vielen Goldringe an ihren Fingern glänzten bedrohlich und obwohl sie von kleiner Gestalt war, erschien sie mir, der sich, noch nicht von seinem Nachtlager auf der Schwelle erhoben hatte, wie ein Ungeheuer.
    Unter ihren Augen begannen Fadil und ich also ungeschickt und überhastet aufzuräumen. Wir störten die Arbeit des Großmuftis und der Sekretäre, wenn wir die Papiere und das Telefon auf dem riesigen Schreibtisch anhoben, um darunter mit unseren Tüchern Staub zu wischen. Doch meinem Herrn war der Hausfrieden so wichtig, dass er sich fügte, seine Bücher und sogar die Teetasse fortnahm und zur Decke starrte, bis wir endlich fertig waren.
    Wir hatten in der großen Suite lange zu tun, und schließlich überraschten uns die Zimmermädchen, als wir dabei waren, die Lampenfüße zu polieren. An diesem Morgen war Elsa dabei, die sich sogleich an mich wandte.
    »Bitte, was tun Sie hier?«, fragte sie bestimmt.
    Fadil und ich ließen von den Lampen ab, ich wies mit dem Kopf zu meiner Herrin hinüber. Elsa räusperte sich, blickte ratlos in die Runde und sagte dann:
    »In diesem Hotel müssen Sie das nicht. Es ist unsere Aufgabe, Sie bringen nur alles durcheinander.«
    Ich übersetzte es und bemerkte, wie Elsa mit ihrem selbstbewussten Auftreten sogar die Frau des Großmuftis einschüchterte. Abu Hashim war zu uns getreten und wollte schlichten.
    »Dies ist ein fremdes Land«, sagte er sanft. »Hier sind sogar die Diener stolz. Wir müssen uns anpassen.«
    Meine Herrin war verärgert und zog sich trotzig das Kopftuch in die Stirn, doch die beiden Zimmermädchen mit ihren schmucken, blütenweißen Schürzen und Hauben waren so entschlossen, ihre Aufgabe zu erfüllen, dass sie schließlich nachgeben musste. Der Großmufti hatte zu all dem kein Wort gesagt, seufzte aber erleichtert, als sich Elsa und ihre Kollegin an die Arbeit machten. In der nächsten Zeit ging ich seiner Frau aus dem Weg, versuchte ihr so wenig wie möglich Anlass zu geben, an mir Anstoß zu nehmen. Und tatsächlich schien sie Fadil und mich einfach zu vergessen, sprach uns nur noch an, wenn es unbedingt nötig war.

3.
    E s fällt mir schwer, mich an alles zu erinnern. Ich lebte ein Leben aus Bruchstücken. Damals war ich kein ganzer Mensch, nur manchmal bei mir, dann aber wieder versunken in einen seltsamen, hellwachen Schlaf. Es war, als wäre ich auf einer geheimnisvollen Insel gestrandet, die mich mit ihrer Monotonie betäubte.
    Die Tage waren dunkel und kurz, der erste Winter war der schlimmste. Ich fror, wo ich ging und stand, egal, wie viele warme Kleidungsstücke ich trug, ich fror im Wachen ebenso wie im Schlaf. Das große Haus in Zehlendorf war schön, besonders weil es wie die Häuser in Bagdad eine Dachterrasse hatte, von der aus man über den See schauen konnte. Und doch war es für mich, zumindest am Anfang, kalt und dunkel.
    Ich erinnere mich an das erste Weihnachtsfest in Berlin. Viel Schnee war gefallen, den ich im Garten der Villa in meinen Händen hatte schmelzen lassen, verwundert darüber, dass diese weiße Masse tatsächlich unaufhörlich und beinahe feierlich langsam aus dem Himmel herabfiel. Am Weihnachtsabend im Hotel hatte ich gerade Zeit genug, einen Blick in den Festsaal zu werfen. Viele runde Tische mit weißen Tischdecken standen dort und an

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