Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
Vom Netzwerk:
vom Arm über die Schulter bis in meine Brust aus und ließ mir schwarz vor Augen werden. Ich atmete schwer und presste die Zähne zusammen.
    »Es tut weh, aber das ist ein gutes Zeichen. Soweit ich sehe, hat es sich nicht entzündet. Du hast Schnittwunden und Verbrennungen, wusstest du das?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich dachte, sie würde mich töten.«
    »Eine Frau?«, sagte der Doktor und verschränkte die Arme. »Nun, wer sie auch war, sie hätte allen Grund dazu gehabt, oder? Ich glaube, deine Einheit wurde in Warschau fast aufgerieben. Jedenfalls ist keiner hier außer dir. Soll ich das Fenster öffnen? Es ist ein bisschen kühl, aber du bekommst wieder Gesellschaft und da ist es vielleicht besser, wenn frische Luft hereinkommt.«
    »Bauchschüsse?«
    Der Doktor wandte sich lachend um. »Ja, sie schicken sie unverbunden aus den Feldlazaretten hierher. Das überlebt keiner.«
    »Darf ich Sie etwas fragen?«
    »Nur zu, wenn es schnell geht.«
    »Wir haben verloren, oder?«
    Der Doktor antwortete nicht, sondern zupfte die grobe Decke über mir zurecht.
    »Erst die Pissritzen, dann die Männer, hieß es«, murmelte ich mit geschlossenen Augen.
    Dr. Stein setzte sich ans Bett und näherte sein Gesicht meinem Ohr.
    »Die Erinnerung ist wie ein Haus; sie hat mehrere Zugänge. Finde einen anderen – als Dieb kannst du das doch.«

2.
    I n der nächsten Nacht standen fünf neue Metallbetten im Zimmer, ein weiterer Verletzter lag auf einer Decke am Boden. An Schlaf war nun nicht mehr zu denken, ich blickte ins Leere solange ich konnte, verlor aber schließlich die Geduld, straffte den Oberkörper, hob die Beine über den Bettrand und stand vorsichtig auf. Dabei achtete ich auf die Rückenschmerzen, die aber viel schwächer blieben als erwartet. Überrascht, wie gut mir die Bewegung tat, arbeitete ich mich Schritt für Schritt voran, den rechten Arm gegen unsichtbare Hindernisse vorgestreckt.
    Es war nicht die erhoffte Erlösung, endlich die Tür durchschreiten und auf den Gang hinaustreten zu können. Denn hier lagen so viele Verletzte, dass ich beinahe ins Zimmer zurückgewichen wäre.
    Doch ich schleppte mich voran, passierte die Reihen von Betten und improvisierten Lagern am Boden, und je näher ich dem Ausgang kam, desto mehr fiebrig glänzende Blicke folgten mir. Hier vorn lagen die weniger schweren Fälle, einer von ihnen rief mir sogar etwas zu.
    Durch eine schwere, zweiflügelige Tür mit Sichtfenstern gelangte ich hinaus auf die Veranda. Eine feuchte Holzbank und ein alter Stuhl waren alles, was ich fand, so setzte ich mich und blickte auf den dunklen Vorplatz hinaus.
    Es war kalt und roch nach nassem Gras, ich bereute, meine Decke nicht mitgenommen zu haben und fragte mich, ob es möglich sei, hier im Laufe der Nacht zu erfrieren. Aus der Ferne drang grollender Geschützdonner heran, es konnte nicht lange dauern, bis die Verursacher auch diese Stadt erreichten. Sie werden das Lazarett evakuieren, dachte ich, vielleicht komme ich nach Berlin zurück.
    Obwohl mir die Zähne klapperten, blieb ich sitzen, stützte sogar den Arm auf die Brüstung, ganz so, als wäre es Sommer. Doch es gab einfach nichts zu sehen, was mich hätte wachhalten können, und so legte ich den Kopf auf den Arm und schlief ängstlich und widerstrebend ein.
    Mich weckte eine Wolldecke, die über mich geworfen wurde.
    »Hier kannst du nicht schlafen«, sagte Dr. Stein, während eine Schwester mir heißes Wasser einflößte.
    Die Nähe der Frau belebte mich mehr als das Wasser, mein Zustand war mir peinlich, mit zitternder Hand versuchte ich vergeblich, das Glas zu ergreifen.
    »Ich weiß, es ist ziemlich unerträglich«, fuhr der Doktor sachlich fort, »du solltest vielleicht versuchen, dich tagsüber zu erschöpfen, damit du nachts schlafen kannst. Achte aber auf deinen Verband und halte den Rücken gerade. Jetzt kannst du hierbleiben, ich komme ab und an nach dir sehen.«
    Ich blieb, wo ich war. Zwei Stunden später bestaunte ich das hektische Treiben auf dem Platz. Unablässig kamen Transporter an, die aussahen, als wären sie durch Feuer gefahren. Unter Gebrüll und Lärm wurden die hinteren Klappen geöffnet und sofort begann das Ausladen der Verwundeten. Zunächst legte man sie in Reihen ab, der Hof füllte sich, Gassen mussten gebildet werden, damit das Personal die einzelnen Männer noch erreichen konnte.
    »Keine Sankos mehr«, knurrte Dr. Stein, als er an mir vorbei ins Lazarett zurückeilte.
    Das bedeutete, die Bahnlinien

Weitere Kostenlose Bücher