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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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folgen wir seinen Ausführungen, und verstohlen blicken wir auf seine Hände: Er hatte diesem vielarmigen Feind gegenübergestanden und ihm den Garaus gemacht.
    Der für uns abgestellte, aus Dresden angereiste Imam, ein schüchtern wirkender Ägypter, dem Großmufti flüchtig bekannt, bestärkte uns in vielen Gesprächen darin, inmitten all der Ungläubigen, die uns umgaben, etwas Besonderes zu sein. Nachdenklich kratzte er sich den Bart und deutete an, dass unser Einsatz eine Art Endschlacht sein würde gegen die rasch vorrückende Rote Armee. Die Deutschen, sagte er, hätten die Partisanen im Rücken und die regulären Einheiten vor sich und sie seien kaum in der Lage, ihre Fronten zu halten. Hier draußen sah alles ganz anders aus, als noch vor kurzer Zeit in Berlin.
    Ich sagte dem Imam, dass ich von der schwierigen Situation bisher überhaupt nichts gewusst hätte. Dieser aber schwächte seine Worte sofort wieder ab und behauptete, mit großer Anstrengung sei es noch möglich, den Vormarsch der Russen zu stoppen. Jetzt, so sagte er, würden alle zur Verfügung stehenden Kräfte mobilisiert, denn jeder, der unter dem Terror des Bolschewismus oder, wie in unserem Fall, des Britischen Empire litte, würde dem Deutschen Reich zu Hilfe kommen. Immerhin habe der Großmufti über das Radio zum weltweiten Dschihad gegen die Briten aufgerufen. Der Imam wies jedoch darauf hin, dass die Religion hier eigentlich keine Rolle spiele.
    Fadil fragte nach den Juden, doch der andere wehrte ab. Das sei eine Sache der Deutschen, von ihnen begonnen und von ihnen zu Ende zu führen. Wir seien nur hier, um zu kämpfen, das Reich zu verteidigen und zum Sieg zu führen. Die Deutschen, versicherte er uns, seien noch lange nicht geschlagen, sie rückten nur in andere Stellungen ein, um dort ihre Positionen zu festigen. Nichts deutete mehr auf einen Zweifel hin, als der Imam am Schluss der Unterredung unser beider Hände berührte und kurz lächelte.
    Fadil war dennoch verunsichert. Er wollte genau wissen, was der Großmufti zu mir gesagt hatte, so als würde sich seine Lage dadurch bessern. Ich sprach beruhigend auf ihn ein und versuchte ihn davon zu überzeugen, dass wir auf dem richtigen Weg waren. Doch Fadil beeindruckte das wenig, wenn es auch seine Anhänglichkeit steigerte. Er wich mir nicht mehr von der Seite, bekräftigte alles, was ich sagte, und blieb in meinen Augen doch ein Risiko. Fadil war dünn geworden wie ein junger Hund, hatte sich ansonsten aber nicht verändert, verfolgte nach wie vor aufmerksam alles, was ich tat, schien es sich merken, gar einprägen zu wollen.
    Wir erfuhren von desertierten Hilfswilligen und von solchen, die sich mit den Lagerhäftlingen, die sie bewachen sollten, zusammengetan hatten, um zu fliehen. Das alles hob nicht gerade das Ansehen des im Entstehen befindlichen Ostturkestanischen Regiments der Waffen- SS . In den Augen der Deutschen waren wir ein Haufen unzuverlässiger, schwer zu kontrollierender Wilder, denen Disziplin und Ordnung eingeprügelt werden musste. Berner drückte das auf seine Weise aus:
    »Ich weiß, ihr werdet bei erster Gelegenheit davonlaufen. Ich sehe es in euren kleinen schwarzen Augen, wie ihr einen Ausweg sucht. Nichts bindet euch, nichts ist stark genug, dass ihr euch dafür opfert. Ich weiß es genau. Und ich werde euch hier nichts erzählen von den großen Zielen und der Verantwortung vor der Geschichte. Euch sage ich nur eins: Ihr werdet marschieren, bis euch das Blut aus den Stiefeln quillt. Ihr werdet verlernen, rückwärts zu schauen. Glaubt es nur ruhig, schon am nächsten Ramadan fastet ihr als Männer.«
    Das Warten auf den Doktor wurde lang. Bereits im Morgengrauen lag ich wach und versuchte den Gestank der Bauchschüsse zu ignorieren. Irgendwann wurde es leiser im Raum und ich blickte hinüber zu den beiden Betten mit den Silhouetten der Verwundeten, die im Schatten aussahen wie nackte Puppen mit ausgestopften Stoffbäuchen. Erst als der Doktor kam, erfuhr ich, dass einer der beiden gestorben war. Der andere bekam eine Tropfnarkose, wurde ganz ruhig davon, atmete noch bis zum Mittag und war dann auch tot.
    »Du hast mir nicht erzählt, warum du so gut klettern kannst«, sagte der Doktor.
    »Doch. Ich war ein Dieb.«
    »Aber ja, ich erinnere mich. In Bagdad. Wie ist es dort so?« Er untersuchte meinen Arm und prüfte den Verband auf meinem Gesicht.
    »Oft ist es sehr heiß. Aber es gibt dort einen breiten Fluss und …«
    Ein stechender Schmerz breitete sich

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