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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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hochgehen zu meinem Freund.«
    Doch der dicke Mann schüttelte nur den Kopf.
    »Warum kann er oben bleiben?«
    Der Polizist hob die Schultern und antwortete nicht. Er öffnete eine der Zellen, schob mich hinein und schloss hinter mir ab. Langsam, fast gemütlich ging er zurück, stieg ächzend die Treppe hinauf. Ich hörte noch, wie er die Metalltür oben verriegelte, dann erst ließ ich das Gitter los und drehte mich um.
    Noch bevor ich die Insassen der Zelle sah, beschäftigte mich der Gedanke an das Bevorstehende. Sie werden Boten schicken, dachte ich, um unsere Familien zu benachrichtigen. Mein Vater wird von der Ziegelei hierherkommen müssen und darüber sehr böse sein. Ich betrachtete die Menschenbündel am Boden, im spärlichen Licht schimmerten die mir zugewandten Gesichter.
    Das waren die Diebe von Bagdad, und die meisten von ihnen waren nicht zum ersten Mal hier. Sie konnten ohne Weiteres erkennen, dass ich ein Neuer war, jemand, den man hier nicht erwartet hätte. So verhielten sie sich auch, kicherten, stießen einander an und tuschelten. Ich blieb nahe bei der Zellentür stehen, wagte nicht, in den Raum zu gehen oder mich gar zu ihnen zu setzen. So zog ich das Interesse selbst der Schläfrigsten auf mich. Ich schwitzte so stark, die Rinnsale liefen mir die Beine hinab.
    »Wer bist du?«, kam es aus der Dunkelheit.
    Ich antwortete nicht, fuhr herum und blickte durch die Gitterstäbe auf den Gang hinaus.
    »Ich habe dich etwas gefragt. Antworte!«
    Jemand erhob sich mühevoll. Ich hörte seine Schritte hinter mir, offenbar humpelte er.
    Schließlich bohrte sich ein spitzer Finger in meine Schulter. Ich drehte mich um und schreckte zurück, als ich in das entstellte Gesicht eines Mannes sah, der nicht viel älter war als ich selbst. Eine Art Ausschlag färbte es vom Hals bis über die Wangen dunkel und eine schlecht verheilte Narbe zog sich von der Stirn quer über die Nase bis zum Mund.
    »Warum bist du hier?«, fragte der Mann und hob seinen Finger wie eine Waffe. »Warum sperren sie dich zu uns?«
    »Ich weiß es nicht«, flüsterte ich.
    Der Mann grinste schief, er hatte kaum noch Zähne im Mund, sein Atem roch faulig. »Das weißt du nicht«, sagte er und blickte kurz hinter sich. »Er weiß es nicht«, rief er in die Runde und die anderen kicherten wieder. »Wir aber wissen es«, sagte er zu mir und stieß mir den Finger in die Brust.
    Ich ahnte, dass ich etwas tun musste, um diese Leute zu beschwichtigen. So erzählte ich dem Mann die ganze Geschichte. Als ich fertig war, herrschte für einen Moment nachdenkliches Schweigen.
    Der Entstellte kniff die Augen zusammen. »Das ist alles?«
    »Ja«, sagte ich und hob die Schultern, um es zu bekräftigen.
    »Bist du einer von Maliks Leuten?«, fragte der Mann.
    »Wer ist Malik?«, erwiderte ich.
    Daraufhin erhob sich fröhliches Gelächter.
    »Wer ist Malik?«, wiederholte der Mann. »Wer ist Malik? – Wenn du ihn nicht kennst, hast du hier wirklich nichts zu suchen, Junge. Aber du kennst ihn.«
    »Nein«, sagte ich laut.
    »Ihr habt doch den toten Juden gefunden », flüsterte der Mann lauernd und ich nickte. »Na also, dann hast du ihn kennengelernt.«
    Er zerrte mich in den Raum und hinüber zur Wand der Zelle, wo ich mich niedersetzte. Ich war erleichtert, ich wusste, dass ich sie überzeugt hatte, kein Spitzel zu sein. Der Gestank war unerträglich. Er rührte nicht nur von den zerlumpten Gestalten her, sondern vor allem von dem großen Holzeimer, ein schwarzes Gebilde, das in der anderen Ecke der Zelle stand und in dem die Männer ihre Notdurft verrichteten. Hunderte von Fliegen waren um ihn. Ich legte meine Hände vorsichtig auf die Knie, um nur ja nichts in diesem Raum zu berühren. Nie zuvor hatte ich solchen Schmutz gesehen. Die Jungen in der Ziegelei waren über und über von Staub bedeckt, sie krochen über den Erdboden, waren ausgemergelt und viele auch krank. Doch sie arbeiteten im Freien. Hier aber, eingesperrt in einen Keller, wurde man nach und nach selbst Schmutz. Man roch und schmeckte ihn, er legte sich auf die Haut, und selbst die Augen brannten einem davon.
    Ich wagte nicht, weiter nach Malik zu fragen. Und doch hätte ich zu gern mehr über ihn gewusst. Hier unten war ich der Erklärung für den Tod des Juden so nahegekommen, wie es mir, das ahnte ich, oben in der normalen Welt niemals gelungen wäre. Dennoch musste ich das Geheimnis bestehen lassen. Der Mann mit dem entstellten Gesicht hätte mir ganz sicher keine weitere Auskunft

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