Ein weißes Land
üppiger Orangenbäume war nach außen hin geschickt verborgen. Dergleichen kannte ich nicht: Der Garten war aufs gründlichste gepflegt, das konnte sogar ich erkennen. Ein weiter Innenhof, der Boden mit Mosaiken verziert, lag im hellen Sonnenlicht, einladend und doch so leer, als würde diesen vielen Raum hier niemand brauchen.
Das zweistöckige Haus war so groß, dass ich unwillkürlich versuchte mir die Ausmaße der Dachterrasse vorzustellen. Zum Schutz vor der Außenwelt gab es, außer in dem hinter der hohen Gartenmauer verborgenen Erdgeschoss, keine Fenster.
Unten kam ich in ein Empfangszimmer mit edlen Sitzkissen und mit zwei schweren Kommoden im europäischen Stil. An den Wänden hingen persische Teppiche. Das Prunkstück jedoch war ein gewaltiger Sekretär mit hölzernen Tierfüßen, ein Möbel, wie man es hierzulande nicht einmal aus den Amtsstuben der Ministerien kannte. Auch der dazugehörige Stuhl glich einem hölzernen Thron. Dieser Platz war dem Hausherrn vorbehalten. Hier also arbeitete oder sinnierte Salomon Golan, Ezras und Mirjams Vater und einer der erfolgreichen Kaufleute in Bagdad. Schon beim Betreten des Raumes war mir der seltsame Geruch aufgefallen, eine Mischung aus Zimt und altem Papier. Ezra hatte mich angewiesen, auf einem der niedrigen Stühle Platz zu nehmen und war dann einfach verschwunden.
So hatte ich reichlich Zeit, die Keshan-Teppiche an den Wänden zu mustern, durch die weit offenen Fenster in den leeren Hof zu sehen, das schwere, schwarze Telefon auf dem Schreibtisch ebenso zu bewundern wie den kostbaren Füllfederhalter, der in einer goldenen Hülse steckte, aufrecht wie ein warnender Finger. Alles hier schüchterte mich ein. Wieder einmal hatte ich mich von Ezra überreden lassen und bereute es.
Was soll ich hier?, fragte ich mich. Salomon wird böse sein, wenn er mich an seinem Tisch sitzen sieht. Er ist ein wichtiger Mann und was bin ich? Ein Straßenjunge. Insgeheim aber war mir sehr wohl klar, warum ich hier war. Ich blickte zu den Ausgängen des Raumes. Einer führte auf den Hof ein anderer in die Küche, dazu gab es noch einen Treppenaufgang. Irgendwo im Haus oben ertönten Geräusche, doch sie klangen weit entfernt wie überhaupt alles, wenn man hier saß.
Ich wartete darauf, Mirjam wiederzusehen, doch je länger ich da war, desto weniger hoffte ich noch darauf. Das Haus schien verlassen.
Schließlich kam mit schweren Schritten der Hausherr herein, gefolgt von Ezra. Aufschnaubend fuhr er zu seinem Sohn herum.
»Warum hast du unserem Gast nichts angeboten? Was ist los, vergisst du alles, was man dir beigebracht hat? Oder tust du auch das nur, um deinen Vater zu ärgern?«
Ezra blieb stehen und breitete die Hände aus. Er sagte nichts, sondern wartete, bis sein Vater mich begrüßt hatte.
Salomon war eine eindrucksvolle Persönlichkeit. Als er sich mir gegenübergesetzt hatte, kauerte ich mich unwillkürlich tiefer in den Stuhl. Jedes seiner Worte schien wohl überlegt, selbst wenn er, wie es öfter geschah, für Sekunden wütend wurde, wofür Ezra beharrlich sorgte.
Salomon lehnte sich zurück und legte die Hände auf die breiten Armlehnen seines Throns. Ich schwieg unter seinem prüfenden Blick, während Ezra demonstrativ stehen geblieben war.
»Du bist also Anwar«, sagte Salomon. »Du hast dich meinem abenteuerlustigen Sohn angeschlossen und euer erstes Abenteuer führte euch geradewegs ins Gefängnis.« Er zog die Brauen hoch und wartete.
Ich wusste nichts zu erwidern und nickte nur.
»Hat Ezra dir erzählt, dass wir den Mann kannten, den Mann, den ihr gefunden habt?«
Ich blickte zu Ezra, doch dieser ließ seinen Vater nicht aus den Augen.
»Er hieß Menahem und war ein guter Freund der Familie.« Salomon atmete schwer, hob die Hand und gab Ezra ein Zeichen.
Dieser wandte sich schnaufend ab und verließ den Raum. Ich fühlte mich ausgeliefert.
»Ich fürchte«, fuhr Salomon fort, »was da geschehen ist, wird niemals aufgeklärt werden. Man wird keinen Schuldigen finden, und wenn doch, wird es irgendjemand sein, der nach ein paar Nächten im Gefängniskeller alles gesteht. Wir kennen das zur Genüge, glaube mir, mein Junge.« Salomon schaute zum Fenster hinaus und begann zu gestikulieren, während er sprach. »Als ich noch sehr jung war, wagten wir uns kaum einmal aus der Stadt hinaus in die Wüste. Dort gab es überall die Beduinenstämme und unter ihnen Verstoßene, die Räuber wurden und bereit waren, jeden, der nicht zu ihnen gehörte, aus dem
Weitere Kostenlose Bücher