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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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an der Decke des Saales. Es zeigte eine angedeutete Wüstenlandschaft, in der Mitte eine Oase und eine Kamelkarawane, die dort Rast machte.
    Während hektische Cartoons auf der Leinwand die Kinder vor Vergnügen quietschen ließen, bannte mich das stehende Bild. In der durchflimmerten Dunkelheit glaubte ich Probleme mit den Augen zu bekommen, wenn ich allzu lange ins Filmlicht starrte. Die Serie von Trickfilmen nahm kein Ende. Die Leute um uns lachten und ächzten, unterhielten sich laut und spuckten die hellen Schalen von Sonnenblumenkernen durch den Raum. Mehrmals mussten wir sie uns aus den Haaren klauben und immer entschuldigten sich die hinter uns Sitzenden wortreich.
    Alsbald beschlich mich Unruhe, am liebsten hätte ich das Kino sofort verlassen. Nichts von der Magie des Films war diesmal spürbar, ich saß nur wie versteinert neben Mirjam und wartete. Verstohlen blickte ich die vollbesetzte Sitzreihe entlang und konnte mich doch nicht entschließen aufzustehen.
    Ich hielt bis zum Hauptfilm durch. Als der Raum gänzlich dunkel wurde, kehrte kurz Ruhe ein, doch mit dem Beginn des Films löste sich die Spannung. Wieder einmal lief »Frankenstein«, seit Jahren ein großer Erfolg in Bagdad.
    Die unheimliche Geschichte verfehlte ihre Wirkung nicht. Zwar übertönte der Lärm im Saal die Worte der Schauspieler, aber um der Handlung zu folgen, genügten die summarischen Untertitel. Als das Monster mit noch verhülltem Gesicht ins Bild kam, gaben die Zuschauer Laute des Entsetzens von sich. Ich fuhr zusammen, als ich Mirjams Hand auf der meinen spürte. Sie war leicht und kühl. Ich wagte nicht, mich zu rühren, doch je länger ich verharrte, desto mehr fürchtete ich, sie könnte sie fortnehmen.
    Frankenstein und sein widerlicher Gehilfe sehnten die Blitze eines herannahenden Gewitters herbei, beide waren sie erfüllt von wahnwitziger Vorfreude auf etwas Schreckliches. Mirjams Hand wurde schwerer und wärmer. Ich blickte zu ihr, doch sie wandte nicht den Kopf, ganz so, als hätte sie es nicht bemerkt.
    Als sich das Monster befreit hatte und an einem See auf ein kleines Mädchen traf, spürte ich Mirjams Hand feucht werden. Im Saal erhob sich Geschrei, Männer sprangen von den Sitzen und riefen dem kleinen Mädchen zu, es solle aufpassen, fliehen. Das Monster warf Blumen in den See, dann packte es in grausamem, kindlichem Übermut das Kind und warf es hinterher. Mirjams Hand umklammerte meine Finger, bis ich sie aus ihrem Griff löste und ihr Handgelenk umfasste. Im Saal herrschte Aufruhr, die Leute waren empört über die ruchlose Tat, ein dicker Mann ließ sich vor uns in den Sitz fallen und wischte sich erschöpft den Schweiß von der Stirn. Von den hinteren Rängen her flog zerknülltes Papier nach vorn.
    Etwas später wurde die Stimmung besser, tanzende Männer in kurzen Lederhosen waren zu sehen, sie hoben die Beine und klatschten sich mit den Händen auf die Schuhe. Sie trugen seltsame große Hüte und ihre Frauen drehten sich und ließen die Röcke fliegen. Die Zuschauer, Männer wie Frauen, waren begeistert, klatschten in die Hände und freuten sich an der Freude dieser Fremden.
    »Das müssen Deutsche sein«, flüsterte Ezra und ich fragte mich, wie er darauf kam.
    Doch es war nicht wichtig, wer sie waren, allein schon durch ihre Kleidung wurden sie zu Fantasiegestalten, genau wie die Indianer, Cowboys und Ritter.
    Ich tastete Mirjams Knöchel ab, fuhr ihren Handrücken entlang und befühlte schließlich ihre Finger. Sie bewegte sich nicht und ich überstrich jeden einzelnen Fingernagel. Ich atmete flach und war so vorsichtig wie möglich.
    Lastende Stille legte sich über den Raum, als der unglückliche Vater, die Leiche seines ertrunkenen Kindes auf den Armen, mitten durch das Fest der Lederhosenträger schritt. Vielstimmiges Seufzen ertönte, die Kinder verstummten, ihre Mütter hielten ihnen die Augen zu.
    Noch immer streichelte ich Mirjams Finger, inzwischen hatte ich sogar ihren Puls fühlen können. Ich schob meine Finger unter ihre Hand, und jetzt hielt ich sie so offensichtlich, dass ich Ezras Blick zu fürchten begann.
    Die Zeit verflog, das Monster versetzte die Ortschaft in Angst und Schrecken und tauchte schließlich sogar im Zimmer von Frankensteins Ehefrau auf. Trotz der Warnrufe im Kinosaal bemerkte sie es nicht, als es riesenhaft und mit ausgebreiteten Armen hinter ihr stand. Papierkugeln regneten herab, eine Flasche flog in Richtung Leinwand, doch die schöne, ahnungslose Frau erhob sich

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