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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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täglichen Wegen, die er nur allzu gut kannte. Irgendwo zwischen Schule und Shorjah-Markt schlich er sich von hinten heran und schlug mir plötzlich auf die Schulter. Obwohl ich den Schrecken darüber offensichtlich mehr spielte als empfand, hatte er jedes Mal seine Freude daran. Wenn wir ins Dämmerlicht des überdachten Basars traten und uns durch die Trauben von Menschen drängten, berichtete mir Ezra alle Neuigkeiten und Eindrücke des Tages. Er erfuhr in seiner besseren Schule tatsächlich mehr als ich, ganz zu schweigen von dem, was er zu Hause aufschnappte.
    »Du musst dir das vorstellen«, keuchte er, ohne auf die Leute in seinem Weg zu achten, »sie behaupten tatsächlich, die Juden stünden der nationalen Einheit im Wege.«
    »Wer sagt das?«, brummte ich, verzweifelt bemüht, nichts von dem zu vergessen, was mir mein Vater zu kaufen aufgetragen hatte.
    »Na, wer schon? Du weißt es doch – deine Leute.«
    Ich, an solche Provokationen längst gewöhnt, sagte nur: »Ach, richtig, ich glaube das ja eigentlich auch.«
    »Wusste ich es doch.«
    »Ja, du bist ohnehin nur zufrieden, wenn du es mal wieder gleich gewusst hast. Also, warum stehst du der nationalen Einheit im Wege? Mach doch einfach mit.«
    Triumphierend warf Ezra den Kopf in den Nacken, packte meine Schulter und riss mich zu sich herum. Das war der Moment, auf den er gewartet hatte.
    »Selbst wenn ich wollte, ich könnte es nicht. Das ist der Sinn des Ganzen: Jemand muss im Wege stehen.«
    Ich machte mich von ihm los und ging weiter. »Ich habe diese politischen Diskussionen langsam satt. Ich verstehe sie nicht. Ich bin zu dumm dafür.«
    Wir traten wieder hinaus ins grelle Sonnenlicht und beschirmten geblendet die Augen. Vielfältiges Hämmern erfüllte die aufgeheizte Luft, kleine Feuer zuckten und zischten am Boden der Werkstattnischen, als würden sie gereizt von den schwarzen Händen und Gesichtern der um sie hockenden Schmiede. Schneeweiße Tauben saßen auf den Mauern.
    »Sind Vögel eigentlich taub?«, murmelte ich.
    »Du bist taub.« Ezra schien erbost zu sein. »Was soll das Gerede, du seist zu dumm? Du willst einfach nicht verstehen. Was kann ich schon tun, ich bin nur ein kleiner Mann, ganz unbedeutend, alles ist zu groß für mich, mein kleiner Kopf kann es nicht erfassen.«
    »Wozu auch? Ich kann sowieso nichts daran ändern. Du tust so, als wäre es wichtig, dass ausgerechnet ich diese Dinge begreife.«
    Ezra blieb vor einem Bauern stehen, der auf einem Brett Granatäpfel zu kleinen Haufen angeordnet hatte. Einer lag halbiert in der Mitte. Ezra fuhr mit dem Finger über die tiefroten, aus einer zarten, hellen Haut hervorbrechenden Samen.
    »Ja, das tue ich«, sagte er leise. »Ist das nicht nett von mir?« Gleich darauf lud er mich ins Kino ein. »Sie kommt mit«, raunte er und hob die Augenbrauen.
    Für den frühen Abend verabredeten wir uns auf der Rashid-Straße.
    Da ich keine Uhr besaß, war ich zu früh und ging unter den Kolonnaden auf und ab. Es war erst mein zweiter Kinobesuch, ich war aufgeregt, aber versuchte mir das auszureden.
    Auf dem schmalen Gehsteig drängten mich die langsam trottenden Menschengruppen entweder gegen die Hauswände oder auf die Straße hinaus. Das Licht der untergehenden Sonne ließ die alten Fassaden noch einmal warm aufleuchten, von den Dächern blickten Männer und Frauen herab auf das rege Treiben. Der Anblick von Bussen, Fahrrädern, Autos und Holzkarren fesselte sie so, dass sie sich weit über die mit Ornamenten verzierten Brüstungen lehnten, um besser sehen zu können.
    Wieder einmal stand Ezra plötzlich neben mir, diesmal war ich wirklich überrascht. Sofort fiel mein Blick auf Mirjam, die mir kurz und mit verschmitztem Blick zunickte. Unter Ezras Führung arbeiteten wir uns zum Eingang des MGM -Kinos vor, ich konnte gerade noch aufblicken und auf dem Schild über den Säulenkapitellen den gemalten Löwenkopf bewundern.
    Vorsichtig, aber entschieden drängte sich Ezra zum Kassenhäuschen hindurch, kaufte die Karten und schob seine Begleiter in Richtung des Vorführraumes. Er hatte recht mit seiner Eile, der Saal war bereits voll und es gelang uns nur durch viel Palaver mit den schon Anwesenden, noch drei Sitzplätze nebeneinander zu bekommen. Ezra richtete es so ein, dass Mirjam zwischen uns saß.
    Der Lärm aus Stimmen, Kindergeschrei und dem Wimmern von Babys verstummte nicht, als sich der Vorhang öffnete. Ich saß kerzengerade, genoss den gepolsterten Sitz und betrachtete das Gemälde

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