Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
Vom Netzwerk:
verstreichen, wie um allen Gelegenheit zu geben, über das Gesagte nachzudenken.
    Ich war mir nicht sicher, aber ich konnte mir vorstellen, dass die Lehrer, allen voran die jüngeren aus Ägypten und Palästina, sich darauf geeinigt hatten, diese Art von Proklamationen zu dulden. So kam es, dass sich solche Ansprachen nicht nur häuften, sondern zum festen Bestandteil jeder Geschichtsstunde wurden.
    Mein Vater verbot mir früh schon, mich den Schwarzhemden anzuschließen.
    »Du sollst keine Uniform tragen«, sagte er bestimmt. »Denn in dem Augenblick, da du es tust, können andere dich benutzen. Das ist der ganze Sinn einer Uniform.«
    Auf Diskussionen über Patriotismus und Pflichterfüllung, wie sie in der Schule immer häufiger geführt wurden, ließ er sich gar nicht erst ein. Er hob die Hände, manchmal legte er sie sogar an die Ohren.
    »Das hat nichts mit uns zu tun. Für andere ist so etwas wichtig, nicht für uns. Wir sind einfache Leute und nichts von all dem nützt uns.«
    War es die Furcht vor dem Kommenden, hatte er in dunklen Momenten Vorahnungen gehabt oder war, was ihn hier wie auch sonst leitete, nur einfach sein praktischer Verstand und die Furcht vor allem, was die Ordnung ins Wanken bringen konnte? Ich erfuhr es nie.
    »Das ist seine Beduinenschläue«, sagte Ezra, wandte sich rasch ab, lachte in die hohle Hand und duckte sich zusammen wie in Erwartung von Schlägen.
    Ich war gekränkt, doch ließ ich mir nichts anmerken. Ich hatte Ezra die Ansichten meines Vaters dargelegt, damit er eine bessere Meinung von ihm bekam. Doch das schien aussichtslos.
    Ich betrachtete das Auto. Ich hatte so etwas noch nie aus der Nähe gesehen. Wir standen vor einem nagelneuen, glänzend schwarzen Cadillac 75 Convertible Sedan, den Salomon Golan vor einigen Wochen unter den überraschten, bewundernden und neidischen Blicken aller Nachbarn hierher vor sein Haus hatte schaffen lassen.
    »Der Wagen eines Filmstars«, sagte Ezra. »Für mich wäre er etwas zu dunkel und zu schwer. Aber mit offenem Verdeck geht es schon, findest du nicht?«
    Ich hörte kaum, was Ezra da in ironischem Ton von sich gab. Zwar wusste ich, dass ihm die Sache peinlich war, vor allem, weil sie so viel Aufsehen erregt hatte. Aber anderes beschäftigte mich weit stärker: Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nicht gewusst, dass man etwas wie dieses Auto überhaupt kaufen konnte. Die Vögel von Bataween zwitscherten eifrig, als Ezra schwieg und ich mich dem Wagen vorsichtig näherte. Ich musterte die runden Formen, die chromglänzenden Leisten und das helle Verdeck. Dann stand ich davor und sah die geflügelte, sich in den Wind legende Kühlerfigur. Alles an diesem Auto war perfekt, nichts hatte man dem Zufall überlassen. Noch die Mitte der Stoßstange war durch den eleganten Schriftzug »Cadillac« hervorgehoben. Wie sollte ich mir Menschen vorstellen, die etwas so Schönes und zugleich Fortschrittliches herstellten und verkauften?
    Vor den Seitentüren kauerte ich nieder, zog die Beine an den Körper und starrte auf den Lack. Ich sah mich selbst wie in einem dunklen Spiegel, meine glänzende Haut und an den Knien die kleinen Löcher in meiner Hose.
    Ezra stellte sich hinter mich.
    »Der Alte veranstaltet ein riesiges Theater«, sagte er.
    »Warum? Hat er Angst, dass es ihm gestohlen wird?«
    Ich schaute die sanft ansteigende Straße entlang. Friedlich lag der Vorort da, es war kaum ein Mensch zu sehen. Die Bäume auf der Hügelkuppe bogen sich zueinander, ihre Kronen schienen sich hoch über dem Asphalt vereinigen zu wollen. Hier musste man keine Angst haben, man hatte die Blicke der anderen hinter sich gelassen und war frei.
    »Nein, er wollte das Auto nicht. Jemand hat es ihm geschenkt. Aber er meint, es würde in diesen Zeiten zu sehr auffallen. Nun ist es da, und niemand will es haben.«
    Ich schüttelte den Kopf und wollte nicht verstehen, wovon er sprach. Ich erhob mich und klopfte die Hose ab.
    »Wohin gehst du?«, fragte Ezra.
    »Ich wollte nur das Auto sehen.«
    Es war mir nicht danach, länger als nötig in der Nähe Salomon Golans zu bleiben.
    »Hast du Lust auf eine Spritztour?«, beeilte sich Ezra zu fragen.
    Ich blieb stehen. Nicht im Traum wäre ich darauf verfallen, je in diesem Auto zu fahren. Ich wandte mich um und Ezra lächelte mir zu.
    »Natürlich muss ich erst fragen. Und vielleicht dauert es einen Moment, bis ich meinen Vater überredet habe. Wartest du?«
    Ich nickte nur, schob die Hände in die Hosentaschen und tat

Weitere Kostenlose Bücher