Ein weißes Land
machte mich unruhiger.
Doch war ich inzwischen wie die anderen von den übernatürlichen Fähigkeiten Maliks überzeugt. Aus purer Angst glaubte ich jedes Wort darüber. Dieser Mann schien zu ahnen, warum ich hier war. Ich würde es ihm sagen müssen, bevor er mich gehen ließ.
»Lass mich nicht zu lange warten«, sagte Malik leise. »Ich bin das nicht gewöhnt.«
»Du hast einen Mann umgebracht«, stieß ich hervor.
Malik hob die Augenbrauen und ließ ein paar Sekunden verstreichen.
»Ich habe neun Männer umgebracht.«
»Aber einen davon habe ich gefunden. Nicht weit von hier, bei der Armensiedlung.«
Das Essen war fertig, die Bande versammelte sich vor Jussufs riesigem Topf. Malik stand auf und nahm mich mit hinüber. Jeder bekam seine Portion auf einen Blechteller und ging damit in den Schatten vor einer der Hütten. Nachdem dort alle wieder beisammen waren und gierig in den Reis griffen, sprach Malik zu Bashir:
»Knie dich hin. Mit dem Rücken zu uns.«
»Los, mach schon«, riefen die anderen.
»Ja«, fuhr Malik fort, »so ist es gut. Und jetzt beugst du dich nach vorn, das Gesicht zum Boden.«
Bashir tat genau, was man ihm sagte, und die Bande grölte.
»Der Kolben könnte seine Nase sein, findet ihr nicht?«
Alle stimmten zu.
»Bleib so«, rief Malik, »es ist, als wärst du bei uns.«
Ich lachte nicht mit, kaute nur den fettigen Reis, nahm vom gebratenen Fisch und war doch erfüllt von der Furcht vor Malik. Immer wieder blinzelte ich zu ihm, in Erwartung dessen, was ihm als Nächstes einfallen würde.
»Unser Gast sagt, ich hätte einen Mann umgebracht.« Die Runde verstummte, Malik ließ eine effektvolle Pause entstehen. »Ich glaube, er ist hier, um den Mord aufzuklären.«
Die Männer gaben Laute des Erstaunens von sich und blickten zu mir.
»Wer soll das gewesen sein?«, fragte Jussuf kauend.
Ich stellte den Teller beiseite und bemerkte, dass meine Hand zitterte.
»Ein Jude«, sagte ich. »Sein Name war Menahem. Ein Freund und ich haben ihn gefunden.«
Bashir fiel mit einem Ächzen auf die Seite. Malik gab Abdel ein Zeichen, dieser erhob sich und befreite den Mann von seinen Fesseln.
»Ihr habt ihn gefunden«, wiederholte Malik.
»Es war ein reiner Zufall«, sagte ich schnell. »Die Leute am Bahndamm haben uns gezwungen, ihn mitzunehmen.«
Malik rieb sich sein blindes Auge. »Deshalb bist du hier?«
Einige der Männer kicherten.
»Ich weiß nicht, warum ich hier bin«, brach es aus mir heraus. »Ich habe es nicht geplant.«
Malik überlegte. »Ja, kann sein. – Du riechst noch immer nach Tomaten. Du solltest dich am Fluss waschen.«
Damit erhob er sich und bedeutete mir, aufzustehen und ihm zu folgen. Ich befürchtete das Schlimmste, als wir einen Trampelpfad durch das Unterholz zum Flussufer gingen. Schon wollte ich in das Wasser gehen, da gab mir Malik einen Stoß und wies flussaufwärts. Es gab dort eine mit Steinen gesicherte Stelle, die aussah wie ein geöffnetes Grabmal.
Bereits beim Näherkommen erkannte ich, dass diese improvisierte Lagerstätte voller menschlicher Gebeine war. Notdürftig mit Zweigen bedeckt, lagen dort graue Schädel und zerbrochene Brustkörbe.
Malik stellte sich neben mich und sprach leise.
»Alles, was in den Fluss geworfen wird, taucht irgendwann wieder auf. Und sehr vieles landet im Tigris, glaub mir. Ich lasse die Männer die Leichen herausfischen, wenn wir sie sehen.«
»Wozu?«
»Es ist eine kleine Warnung. Mein Vater war ein Flussfischer. Als Kind bin ich mit ihm hinausgefahren. Das war noch unter den Türken. Immer wieder hatten wir Leichen in den Netzen. Als es wegen der Briten mit ihnen bergab ging, wollten die Türken das Geld der reichen Juden erpressen. Wer nicht zahlte, verschwand. Heute sind es andere. – Mit wem hast du den Toten gefunden?«
Ich erzählte ihm die ganze Geschichte. Malik hörte aufmerksam zu und legte mir danach die Hand auf die Schulter.
»Du kennst den alten Juden also?«
»Ich war einmal in seinem Haus und einmal in seinem Lager«, sagte ich unsicher.
»Das ist gut, sehr gut. Geh dich jetzt waschen und komm dann zu uns, hörst du?«
Ich tat, wie mir befohlen.
Im Wasser stehend, überkam mich zum ersten Mal an diesem Tag eine beinahe einschläfernde Ruhe. Mit langsamen Bewegungen wusch ich mir Gesicht und Haare, tauchte den Kopf unter und stand dann prustend still.
Hier, im Süden der Stadt, waren die Uferbänke des Tigris von hohen Palmen bestanden und beinahe menschenleer. Nur wenige Lastkähne lagen
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