Ein weißes Land
auf dem Wasser, in der Ferne wuschen ein paar Frauen Kleider, während neben ihnen ein Boot mit Ziegeln aus getrocknetem Schafsdung entladen wurde. Einer der vielen Uferpaläste erhob sich gerade noch aus dem Dunst, eine breite Treppe führte von seinem hinteren Ausgang fast bis an das Wasser und gab ihm das Aussehen eines Tempels.
Der melodiöse, nicht enden wollende Gesang eines Bulbul umfing mich, ich roch den Fluss und Rauch vom Lager der Bande. Malik wird mich gehen lassen, dachte ich und verspürte augenblicklich Erleichterung, er wird mir nichts tun, dazu hat er schon zu viel mit mir gesprochen. Ich war unsicher, was genau ich für diesen Mann empfand. Einerseits bewunderte ich ihn, weil er ein ganz sicher unumschränkter Herrscher war, andererseits widerte mich seine Grausamkeit an. Er war wie eine verzerrte Ausgabe meines Vaters, immer beschäftigt mit seinen eigenen Gedanken und stets bereit, sie anderen aufzuzwingen. Die Leute um ihn waren nur Dummköpfe, die Schutz brauchten für ihre kleinen Angelegenheiten.
Bin ich nicht genauso, fragte ich mich, ist es nicht nur meine Jugend, die mich von den anderen dort drüben unterscheidet? Ich sann diesem Gedanken nach, doch mich plagte in Wahrheit etwas anderes: Ich wusste, was Malik von mir wollte, ohne dass dieser ein Wort darüber verloren hätte. Ich bin kein Dummkopf, dachte ich plötzlich, aber Malik wird mich zu einem Verräter machen. Er wird mich gehen lassen, aber nur, um mich jederzeit zurückholen zu können. So stellt er sich das vor, deshalb bin ich hier. In meinem Kopf entstand ein Bild meiner nahen Zukunft: Ich würde weiterhin mit Ezra zusammen sein, würde sogar seine Nähe suchen und dabei die Augen offenhalten müssen, bis Malik genug über die Familie wusste, um einen Plan zu machen.
Kurz warf mich dieser Gedanke wieder zurück in jene Verzweiflung und Furcht, die mich beim Essen gequält hatte. Zu meiner eigenen Überraschung jedoch fing ich mich und plötzlich erschien mir das Ganze nicht mehr allzu bedrückend. Ich werde ein Verräter sein, dachte ich, aber auch stark, denn wenn sich herumspricht, dass ich zu Malik gehöre, wird es niemand, auch nicht die Schwarzhemden, mehr wagen mich herumzustoßen. Ich schaute noch einmal in die Ferne. Jetzt wirkte das im Hitzeflimmern zerfließende Bild der Stadt wie ein verheißungsvolles Phantom und die Aussicht auf eine Veränderung gab mir Kraft.
Es kam, wie ich erwartet hatte: Malik ließ mich gehen, nicht ohne vorher genaue Anweisungen gegeben zu haben. Ich sollte alle drei Tage in das Lager kommen, doch konnte ich Malik umstimmen, so dass am Ende ein wöchentlicher Besuch ausreichte. Erstmals lächelte der Kletterer, als er mich verabschiedete.
»Du bist ein kluger Junge. Gerade in dieser Zeit kommt es darauf an, klug zu sein. Du wirst noch verstehen, was ich damit meine«, sagte er und: »Es soll dein Schaden nicht sein.«
Noch immer hatte er nichts über seine Pläne für mich verlauten lassen. Und doch wusste ich, dass von nun an ein Pakt zwischen uns geschlossenen war, und niemand hätte sagen können, was genau das für die Zukunft bedeutete.
9.
B is zur versprochenen ersten Zusammenkunft mit den Kommunisten vergingen Wochen. Ephraim verhielt sich konspirativ und ließ mich durch Ezra wissen, wann es so weit war.
»Ich glaube, er mag dieses Versteckspiel. Vielleicht ist es für ihn sogar das Wichtigste an der ganzen Sache«, sagte ich.
Nach meiner Begegnung mit Malik meinte ich nun mehr noch als zuvor, die ganze Lächerlichkeit dieser selbsternannten Untergrundbewegung erkennen zu können.
»Lass ihn das bloß nicht hören. Ich dachte, ihr wärt euch jetzt nähergekommen. Aber du kannst ihn noch immer nicht leiden.« Ezra schmunzelte.
Etwas an dieser Bemerkung ärgerte mich. »Ja, du dachtest, ich wäre einfach nur blind vor Eifersucht. Vielleicht aber hatte ich ja auch noch andere Gründe.«
»Die würden mich interessieren. Ich kenne Ephraim schon lange, aber bisher hat noch niemand so empfindlich auf ihn reagiert wie du. Das ist doch seltsam, findest du nicht?«
Ich fühlte mich einmal mehr ausgehorcht. »Ist mir egal. Ich habe meine Gründe.«
»Mein Vater sagt immer, die nur Geistlosen sind so lästig, weil sie uns ähneln. Mit den wirklich Dummen lebt es sich leicht; sie sind einfach anders.«
Ich war nahe daran, mich umzudrehen und zu verschwinden. Doch wir hatten die Shorjah, den zentralen Basar von Bagdad, schon erreicht; von hier aus waren es nur noch Minuten bis
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