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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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sollte. Kurz blickte er sogar zu Ezra hinüber.
    »Nein«, sagte er dann, »sie ist Gottes Wille. Sie ist die Aufgabe, vor die Gott uns gestellt hat, und doch hat er diese Aufgabe in seiner Weisheit längst gelöst.« Er klappte das Buch zu und nahm die Brille ab, so als wäre damit alles gesagt.
    Ich fragte mich, ob der Mann mit dieser Antwort zufrieden war. Ephraim jedenfalls war es und kam zum Abschluss noch auf ein anderes Thema zu sprechen. Dazu legte er das Buch weg und setzte die Brille wieder auf.
    »Wie ihr alle wisst«, sagte er, »hat sich die Lage verschärft. Die Demonstration am letzten Donnerstag ist niedergeschlagen worden wie ein Aufstand. Es hat zwei Tote gegeben und viele Verwundete. Wer dabei war, wird bezeugen, dass die Gewalt vom Militär ausging. Nuri war dort und wird euch sagen, was er gesehen hat.«
    Damit hob Ephraim den Arm und winkte einen schüchtern wirkenden Mann heran, der sich mühsam aus seinem Sitzkissen erhob und in die Mitte des Innenhofes trat.
    Als er dort stand, fing ich einen seltsamen Blick von ihm auf. Sofort war ich sicher, dass dieser Mann mich bei der Demonstration gesehen hatte. Ich war beunruhigt, zugleich jedoch sofort erleichtert über die Tatsache, dass Nuri Araber und kein Jude und ganz offensichtlich Kind armer Leute war. Die verhornten Zehennägel in den ausgetretenen Latschen, das einfache Gewand und die fleckige Mütze, all das und sein eingeschüchtertes Auftreten machte ihn hier zum Außenseiter.
    »Komm, sag es uns, Nuri«, forderte Ephraim.
    »Ja, ich war dabei. Am Anfang war alles wie immer. Dann aber waren plötzlich die Soldaten da. Sie haben nicht sofort geschossen, aber wir konnten gleich sehen, dass sie dazu bereit waren. Doch es kam noch schlimmer: Sie haben Kriminelle losgeschickt, damit sie über die Demonstranten herfallen. Ich habe es gesehen.«
    Jetzt blickte Nuri unverwandt zu mir, als wollte er mir etwas zu verstehen geben.
    »Es waren Leute von Maliks Bande«, fuhr er fort, »sie haben in einer der Gassen gewartet, bis sie einen Befehl bekamen.«
    »Hast du das gesehen oder vermutest du das?«, rief ich dazwischen.
    »Ich habe sie gesehen und den Soldaten, der ihnen Anweisung gab.«
    Nun bemerkte Ephraim den starren Blick Nuris. »Warst du auch dort?«, wandte er sich an mich.
    »Nein«, entgegnete ich und bereute es sogleich. Doch es war zu spät.
    Ephraim nickte kurz. »Fahr fort, Genosse«, sagte er zu Nuri.
    »Dieses Pack hat gewütet wie die Tiere. Sie durften alles, niemand hat sie zurückgehalten. Und sie waren bewaffnet.« Nuri war ehrlich entrüstet. »Wenn sie so etwas zulassen, dann müssen auch wir uns in Zukunft bewaffnen.«
    »Nuri hat recht«, sagte Ephraim laut. »Warum sollten sie damit aufhören, jetzt, wo es sich bewährt hat? Würdet ihr das tun? Ich schlage also vor, dass wir bis zum nächsten Mal mindestens ein halbes Dutzend Gewehre auftreiben.«
    »Woher sollen wir die bekommen?«, kam es von den anderen. »Wir haben keine Beziehungen zum Militär. Und es ist gefährlich.«
    Ephraim hob die Hände. »Ich weiß, ich weiß, aber wir müssen eine Lösung finden. Die Kämpfe werden härter werden, wir können nicht zulassen, dass sie uns einen nach dem anderen umbringen. Wir brauchen Waffen. Vielleicht müssen wir sie gar nicht einsetzen. Sie sollen nur sehen, dass wir uns wehren können.«
    Hier endete die Debatte. Der Hof lag wie die gesamte Nachbarschaft in tiefem nächtlichem Frieden, und ich fragte mich, was wohl die Frau des Hauses, wenn es eine gab, zu dieser Art von Zusammenkünften sagte. Ich schaute in den sternenklaren Himmel, das trockene Rascheln der Blätter erfüllte die Luft, jetzt flüsterten die Besucher miteinander.
    Ich dachte an Malik und hatte nicht das Gefühl, schon ein wirklicher Verräter zu sein. Ich bin da hineingeraten, dachte ich, sie haben mich gezwungen, mit ihnen zu gehen. Doch der Gedanke, es gleich hier Ephraim oder Ezra zu sagen, kam mir nicht. Ich gehöre zu niemandem, sagte ich mir, es ist mein Recht, zu gehen, mit wem ich will. Warum sollten mir diese Leute hier vorschreiben, was ich zu tun habe? Vielleicht ist Malik nur mein Bekannter, wen geht das etwas an?
    »Ihr wollt euch wirklich bewaffnen?«, fragte Ezra etwas später.
    Ephraim reagierte sogleich heftig. »Ja, natürlich, worüber reden wir hier? Eine Revolution steht bevor, hast du es noch nicht bemerkt? Du kannst nicht ewig irgendwo zwischen deinem Vater und uns stehen. Entscheide dich endlich.«
    »Du weißt, was das

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