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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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Spitze und wagte kaum noch zu atmen. Malik schaute über den Platz. Die Situation hatte sich beruhigt. Die Soldaten umstanden ein paar Tote oder Verwundete, tippten sie mit den Stiefelspitzen an und rauchten dabei. Der Einsatz war beendet.
    Malik seufzte. »Was soll ich tun? Ich weiß es nicht. Es gibt so viele Dinge, die ich nicht weiß. Zum Beispiel, wer du bist.«
    »Niemand bin ich«, jammerte ich leise, »du kennst mich nicht.«
    »Ja, aber vielleicht kennt dich Abdel doch und hat es vergessen.« Malik legte sachte die Hand auf dessen Arm, das Messer zitterte.
    »Nein«, sagte Abdel gleichmütig.
    Malik atmete hörbar aus. »Gut, lass ihn gehen. Und du, Junge, setzt dich zu unserem Freund Fratze und wartest.«
    »Nein«, sagte Bashir später im Lager und riss dabei die Augen auf, »es hatte gar nichts mit dir zu tun. Aber Malik kennt Abdel. Er kennt ihn gut. Er weiß, dass er seinen Schwanz in jede Frau steckt, die er finden kann. In jede. Abdel hat so viele Kinder mit verschiedenen Frauen, er kann sie selbst nicht alle beim Namen nennen.«
    Der kleine Bashir war mir allzu nahe gerückt. Seine Mimik war außer Kontrolle, daher nannten die anderen ihn nur »Fratze«.
    »Malik dachte, du wärest einer aus Abdels Sippe. Malik hat solche Ideen.«
    Ich verstand den Mann nicht, der seine schmutzige Hand jetzt auf meinen Oberschenkel legte. Ich schreckte auf, aber ließ es geschehen.
    »Was wäre das für ein Zufall, wenn ich zu Abdel gehört hätte?«
    »Malik hat solche Ideen, und wenn er sie hat, weiß er auch, warum.« Bashir riss die Mundwinkel auseinander, als wollte er lachen oder schreien.
    »Er ist misstrauisch«, sagte ich und versuchte die Hand abzuwehren, die sich langsam an meinem Bein emporarbeitete.
    Bashir hielt inne. Er blies die Wangen auf und kniff die Augen zusammen.
    »Malik ist nicht misstrauisch«, sagte er eindringlich. »Er weiß Dinge. Er denkt anders als wir, weil er sich anders bewegt.« Mit zwei Fingern machte er eine Bewegung in der Luft.
    »Weil er klettern kann«, sagte ich.
    »Klettern wie ein Gecko. Er kann die Wände hinaufgehen.«
    Bashir flüsterte jetzt und mit einem Ruck packte er meine Weichteile. Ich schrie kurz auf, so dass Malik aufmerksam wurde. Bashirs Gesicht wurde zu einer Maske des Entsetzens, als er die Schritte hinter sich hörte.
    »Lass ihn in Ruhe, Fratze. Muss man dir alles zehnmal sagen? Zeit für den Maiskolben.«
    »Nein«, rief Bashir und wollte davonlaufen, da hatte ihn Malik bereits ergriffen. Er holte Abdel zu Hilfe und zusammen rissen sie ihm die Hose herunter und fesselten ihn so, dass er gekrümmt auf dem Platz lag.
    Malik kam zurück und hockte sich vor mich. Er kaute an einem Zweig, wies hinter sich und sagte:
    »Dieser Mann dort hat zwei Schulmädchen beinahe umgebracht. Die Brüder der einen haben ihm dafür die Eier abgeschnitten. Aber seltsamerweise ist sein Appetit noch immer gewaltig. Von Zeit zu Zeit muss man ihn erziehen.«
    Ich sah nur wenig davon, hörte aber Bashirs klagende Schreie, als ihm der Maiskolben in den Anus gebohrt wurde.
    »Und jetzt sagst du mir endlich, warum du hier bist.«
    »Aus Neugier. Ich wollte sehen, wie ihr lebt.«
    Abdel ließ Bashir so, wie er war, in der Sonne liegen. Der kleine Mann wand sich wie ein Wurm.
    »Ah, das wolltest du sehen. Und, wie gefällt es dir?«
    Ich ließ kurz den Blick schweifen. Die Räuber hatten ihre Hütten aus Holzresten und Zweigen von Dattelpalmen errichtet. Das Ufer des Tigris war nah; ein Stützpunkt also, den sie in kürzester Zeit verlassen konnten, sollte es gefährlich werden.
    »Wie lange noch, Herr?«, rief Bashir.
    »Malik sagt, äh, eine Stunde.« Der Kletterer feixte.
    »Bitte nicht, sei barmherzig.«
    »Sie verstehen es, weißt du«, sagte Malik zu mir, »in der Tiefe ihrer Herzen verstehen sie, dass ich gut zu ihnen bin. Eigentlich bin ich zu gut. Was meinst du, Fratze?«
    »Du bist wissend und gütig, ja. Mach mich los.«
    Der Schmuggler Jussuf kochte im Schutz von Palmenbättern, die anderen saßen wie Kinder um ihn herum. Essensduft durchzog das Lager.
    »Wenn mich mein blindes Auge nicht täuscht, willst du eigentlich nicht mit uns essen. Du willst so schnell wie möglich fort.«
    Ich nickte heftig, so erleichtert war ich über die Aussicht, die er mir zu eröffnen schien. Längst bereute ich, hierhergekommen zu sein, nichts als Furcht war von meiner abenteuerlichen Neugier geblieben. Ich fühlte mich elend und klein, jeder Blick auf den halbnackten, gefesselten Bashir

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