Ein weißes Land
bedeutet«, wandte Ezra ein. »Sie werden euch jagen und einen nach dem anderen in ihre Keller schleppen.«
»Ja, das weiß ich. Aber was du nicht begreifst, ist, dass es ohnehin so gekommen wäre. Was glaubst du, wovon ich hier rede? Ist das alles ein Spiel für dich, ein Ausflug zum Vergnügen?«
»Bis jetzt, ja«, sagte Ezra und lächelte dem anderen begütigend zu.
»Komm schon, was war es bisher: viele Worte und wenig Taten. Was ihr jetzt vorhabt, wird alles verändern.«
»Was meinst du dazu?«, sagte Ephraim zu mir, der stumm bei ihnen gestanden hatte.
»Ich weiß nicht. Ezra hat recht, es wird gefährlich werden. Und ihr seid wenige. Wo sind die Massen, von denen du gesprochen hast? Ihr wollt einen Aufstand anzetteln, aber mit wem?«
»Wir wollen keinen Aufstand, wir wollen uns nur wehren. Wenn du gesehen hättest, was sie auf der Demonstration angerichtet haben.«
»Warst du dort?«
»Nein, aber ich habe genaue Berichte darüber.«
»Berichte?«
Der Ton zwischen uns war so gereizt, dass Ezra dazwischenging.
»Bleibt ruhig, beide. All das muss man genau durchdenken, um nicht von den Folgen überrollt zu werden. Was hat der Untergrund davon, wenn diese Leute hier in den Gefängniskellern verschwinden? Und du gibst der Regierung auch noch einen Anlass dafür. Sie werden es leicht haben, sie brauchen nur dem Weg der Waffen folgen.«
»Ja, es ist gefährlich. Wir alle wissen das. Aber wir müssen uns vorbereiten, denn es wird schlimmer werden.«
Ezra wandte sich nun ganz Ephraim zu, baute sich förmlich vor ihm auf.
»Verstehst du nicht: Was du jetzt planst, geht weit hinaus über das, worauf wir vorbereitet sind. Du kannst nicht so tun, als wäre alles wie vorher. Wenn du über die Folgen nachdenkst, musst du die gesamte Organisation verändern. Du wirst dich verstecken müssen. Hast du dich schon einmal gefragt, bei wem?«
»Wir verstecken uns doch die ganze Zeit. Und früher oder später wird etwas geschehen, was uns ins Gefängnis bringt. Du hast recht, es muss sich etwas ändern. Aber du willst nur warten und zusehen. Glaubst du, die anderen sind nicht schon längst hinter uns her? Wenn wir zu lange warten, wird es uns ergehen wie den Genossen in Deutschland. Dein Vater ist ein kluger Mann und ich achte ihn, du weißt das. Aber er hat dich infiziert mit dieser jüdischen Krankheit, nie dabei sein, immer außerhalb der Ereignisse bleiben und für nichts einstehen, außer vielleicht Privatangelegenheiten. Das ist zu wenig. Schau nach Europa.«
»Mein Vater mag nicht auf der Höhe der Zeit sein. Sein Geschäft und seine Familie sind ihm alles, nicht einmal sein Glaube reicht da heran. Aber er hat auch nie in die Politik eingreifen wollen, wie du es tust. Wenn es nach ihm ginge, könnten die Briten das Land ewig beherrschen. Das ist eine realistische Haltung. Aber du, Ephraim, lebst in Ideen, dabei bist du ein Mensch aus Fleisch und Blut. Und dazu bist du Jude.«
»Ich bin kein Jude, ich bin Kommunist. Da ist sie wieder, eure Krankheit. Sag mir eins, Ezra, was tust du, was tut dein Vater, wenn die Briten ihren Einfluss hier verlieren. Wer wird euch vor den Nationalisten schützen? Hitler bereitet einen Krieg vor, jeder weiß das, und England wird ganz sicher zu seinen Gegnern gehören.«
Ezra lachte auf und schüttelte den Kopf. »Ist das Wahrsagen jetzt auch schon eine deiner Fähigkeiten? Woher willst du das wissen, sie haben in München gerade einen Friedensvertrag unterzeichnet, Frieden für Europa, Frieden für die Welt. Du träumst dir deine Katastrophen herbei und nennst sie Gesetz der Geschichte.«
Ich konnte ihnen nicht mehr folgen, staunte Ephraim an und fragte mich, woher er seine Gewissheit nahm. Nichts von dem, was er so überzeugt und überzeugend von sich gab, schien der Realität zu entsprechen, einmal abgesehen von den politischen Demonstrationen, die es jedoch schon seit Jahren gab. Und doch war es, als würde er all das deutlich vor sich sehen, die revolutionäre Arbeiterklasse, den Umsturz und den freien Irak, in dem die Minderheiten keine Rolle mehr spielten, weil sie gemeinsam und gleichberechtigt den neuen Staat bildeten.
Ich betrachtete diesen hageren Mann, der durch seine fleckigen Brillengläser kaum noch etwas sehen konnte, aber auf jede Frage eine Antwort wusste. Wie habe ich glauben können, dass er für Mirjam bestimmt sei, dachte ich, wo er doch in Wahrheit nur für seine Revolution lebt. Wahrscheinlich wird er niemals eine Frau haben und wenn doch, dann
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