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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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herum, bis die Delinquenten vor Schmerzen schrien, und sie entblößte er vor den Augen aller, damit die Scham den Rest besorgte.
    Er war der erste Mensch in meinem Leben, den ich wirklich hasste. Nicht so sehr für seinen lächerlichen, eingeschnürten Körper in dem Fantasiefummel, den seine allzu gutmeinende Mutter mit den goldenen Knöpfen einer Schaffneruniform versehen hatte, nicht für den ewigen Schweißgeruch, der um ihn war, sondern für seinen zugleich neidischen und gierigen Blick, mit dem er jeden verfolgte, der anders war als er und ihn dadurch kränkte.
    »Ich könnte dich umbringen, du fettes Schwein«, sagte ich oft schweratmend vor mich hin und war selbst erstaunt über die Heftigkeit dieses Gefühls.
    Es war, als hätte Malik etwas in mir befreit; ich sehnte ein Zusammentreffen mit Fadil geradezu herbei. Du wirst ein großer Herrscher werden, murmelte ich, du wirst noch viele Leute treten, bevor man, Inschallah, endlich dich zertreten wird – möge die Zeit bis dahin kurz sein.
    Ich saß im Unterricht, während ich das dachte. Doch nichts von dem, was der junge Lehrer mit einer quälend dünnen Stimme vortrug, die so leise war, dass selbst die Fliegen am Fenster sie übertönten, interessierte mich noch. Draußen in den Straßen und am Fluss, in den schmutzigen Vierteln, ja, sogar in den sauberen der Reichen, war das wirkliche Leben. Malik hatte recht, nur dort konnte man etwas lernen. Jeder hier sprach von der Zukunft, doch Ephraim behauptete, ein Krieg stehe bevor, wie ihn die Welt noch nicht gesehen habe. Wer konnte wissen, was morgen sein würde. Im Bart des Lehrers bildeten sich weiße Schaumbläschen, die er wie so oft zuvor mit einem sorgfältig zusammengelegten Taschentuch fortwischte, ohne sich dabei zu unterbrechen.
    Fadil erwartete mich in der Gasse, die an den Schulhof grenzte. Keinen Moment lang hatte ich geglaubt, ihm an diesem Tag, der mein letzter Schultag werden sollte, aus dem Weg gehen zu können, und doch war ich überrascht, dass wirklich alle Schwarzhemden nur für mich versammelt waren. Fadil stand zwei Schritte vor den anderen, die Hitze machte ihm zu schaffen, er war ungeduldig. Ich stellte mich vor ihn und zwang mich, den Kopf zu heben, ohne dabei das Gesicht zu verziehen.
    »Was willst du?«
    Fadils goldene Schaffnerknöpfe glänzten im Sonnenlicht wie polierte Münzen. Er stand sehr aufrecht und wirkte doch verunsichert, bevor er laut befahl:
    »Zieh deine Hose aus.«
    Ich hätte über so viel Frechheit beinahe gelacht, doch ich wusste, dass es Fadil ernst war.
    »Das willst du. Gefällt dir etwa mein Arsch?«
    »Zieh sie aus«, wiederholte Fadil und kniff seine Schweinsaugen zusammen, in die ihm der Schweiß rann.
    Ich tat einen Schritt vorwärts, näherte mein Gesicht dem seinen.
    »Sieh in mein totes Auge und sag mir, ob du wirklich glaubst, ich würde das tun.«
    Fadil wich sofort zurück, ungläubig starrte er mich an, wandte sich halb zu seinen Kameraden und zögerte. Schließlich riss er sich zusammen und zeigte auf mich.
    »Wenn du mit Malik gehst, bist du sowieso verloren.«
    Ich blickte ihm in die Augen. »Und du weißt nicht, wie glücklich ich darüber bin.«
    Die neue Freiheit berauschte mich. Die erste Zeit streunte ich am Flussufer herum, denn der Tigris erschien mir nun als Inbegriff des Lebens und ungeahnter Möglichkeiten. Am liebsten hätte ich wie Maliks Bande ein Lager ganz in seiner Nähe aufgeschlagen, welches ich aber allein bewohnte.
    Wie Fadil, so bemerkte auch mein Vater die Veränderung an mir. Er wurde schweigsam und beobachtete seinen Sohn, wenn er meinte, dass dieser es nicht bemerkte. Sicherlich machte er sich Sorgen, doch sagte er es nie. Ohne ein Wort war ein Einverständnis zwischen zwei Männern entstanden, und ich wusste, damit war ich mir selbst überlassen. Ob mein Vater damals bereits gehört hatte, dass ich nun zu Malik gehörte, erfuhr ich nie. Ich ging davon aus, denn es gab nach der Schule keine Fragen mehr und plötzlich war es unwichtig geworden, wann ich nach Hause kam.
    Die Jungen in der Nachbarschaft, mit denen ich früher Fußball gespielt hatte, gingen mir mit der Zeit aus dem Weg. Ich weiß nicht, ob es an mir selbst lag oder ob ihre Eltern sie gewarnt hatten. In jedem Fall begann mein neues Leben unbeschwert von den Bindungen der Vergangenheit.
    Geduldig bildete mich Malik weiterhin im Klettern aus. Wir übten immer nachts an den Häusern der Reichen, und allmählich begriff ich, was mein Lehrmeister meinte, wenn er

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