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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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keuchend sagte:
    »Nicht der Fluss ist für mich Freiheit wie für meinen Vater, nicht die Uniform wie für meine Brüder, nicht die kleinen Pflaumen der Schulmädchen wie für Bashir, nicht das Messer wie für Abdel. – Nur das hier.«
    Malik klebte wie ein Dämon an der Hauswand und blickte unter der Schulter hindurch zu mir, der ebenfalls aufstieg. Der volle Mond stand direkt über uns und warf Maliks enormen Schatten auf die Wand.
    Kalt fuhr mir der Wind in das schweißnasse Hemd, doch jede Faser meines Körpers glühte. Die Anstrengung ließ mich stoßweise und rasselnd atmen.
    »Schau nach oben«, stieß Malik hervor, »dort willst du hin.«
    Ich konnte es kaum glauben, doch er wartete, bis ich auf seiner Höhe war, und gab mir das Zeichen abzusteigen. Unten ruhten wir kurz aus. Die Hände auf den Knien stand ich da, verschnaufte und hoffte, es hinter mir zu haben, da griff der Dieb nach meiner Hand und legte mir eine Lederschlinge um das Gelenk.
    »Was meinst du«, flüsterte er, soll ich sie nur halten oder festbinden?« Er hob das andere Ende des Riemens, wartete meine Antwort nicht ab, wickelte ihn sich um das eigene Handgelenk, band einen Knoten und zog ihn fest.
    »So kommen wir zusammen oben an oder wir fallen beide.«
    Dieser Aufstieg war schrecklich. Der Riemen war kurz, ich konnte nicht folgen. Wir mussten ein Wesen mit vier Armen und Beinen werden, unsere Atemzüge verschmolzen zu einem einzigen Keuchen. Ich tastete mich durch die tanzenden, teerschwarzen Baumschatten auf der Wand, als würde ich in dunkle Pfützen greifen. Und immer zog Malik an mir, immer wieder löste er den Griff meiner Linken, wenn sie gerade Halt gefunden hatte. Der Schweiß rann mir in die Augen und die Wangen hinab, das weiße Mondlicht schien mir über das Gesicht zu rinnen, wenn ich hinaufblickte zum Rand der Mauer.
    In jener Nacht wollte Malik mehr als mein Lehrer sein: Er griff nach meiner Seele. Wir saßen auf der Mauer, er löste den Knoten des Lederriemens, und sagte:
    »Jetzt wird es dir schwerer fallen, mich zu verraten. Du wirst sehen.«
    Ich sagte nichts, blickte erschöpft zu den mondbeschienenen Häusern hinüber. Die dunklen Dächer mit den schlafenden Familien lagen ringsum vor uns wie aufgeblättert. Dort dämmerte jeder dem Tageslicht entgegen, uns aber, Malik und mich, verbanden die Nacht und die Furcht, etwas, das die faulen Schläfer dort mit einem Seufzen zurückließen, wenn sie am Morgen mit dem Gesang der Vögel erwachten und vor der aufsteigenden Sonne in die Zimmer flohen.
    »Du wirst es sehen«, wiederholte Malik grinsend – und er hatte recht.
    Trotz alldem nahm er mich nicht mit auf seine Raubzüge. Er hatte anderes mit mir vor und dazu wollte er mich nicht unnötig in Gefahr bringen. Ich war ungeduldig und dabei ging es mir nicht so sehr um das Einbrechen, sondern um die letzte Weihe, den Lohn für alle Mühen, das Eindringen in die vollends verbotene Welt. Außerdem wollte ich mir das Vertrauen der Gruppe verdienen und dafür gab es nur ein Mittel: Ich musste ein Verbrecher sein wie sie.
    Stattdessen nahm Malik mich mit zum Offiziersclub der irakischen Armee in der Nähe des östlichen Bahnhofs. Hier, im Saal eines düsteren, schmucklosen Gebäudes waren die Fenster mit dicken Stoffen verhängt, als wollte man die Außenwelt fernhalten, obwohl sich alle Gespräche nur um die Lage draußen drehten. Es gab sogar ein Radio, das aber nur zu bestimmten Zeiten eingeschaltet wurde, nachdem zwei Saaldiener mit bittendem Gesichtsausdruck Ruhe gefordert hatten.
    Manchmal war durch all den Lärm hindurch das rhythmische Stampfen des Zuges nach Baquba zu hören, der gerade den Bahnhof verließ. Die Wände des Saals waren mit vom Rauch vergilbtem Putz verziert, ansonsten schmückte sie nur die Landesfahne.
    Malik und ich ließen uns in die weichen Sessel sinken. Sogleich erschien ein Bursche, der ein schmutziges Handtuch über der Schulter trug, und nahm die Bestellung entgegen. Fast alle Männer in diesem Raum waren in Uniform und dennoch hatte Malik vollkommen freien Zugang. Er grüßte seine Bekannten, zu manchen ging er hin und schüttelte ihre Hände. Hier begegnete man ihm nicht mit Furcht und Argwohn, sondern behandelte ihn wie einen Kameraden.
    »Ich will dir jemanden vorstellen«, sagte Malik wohlgelaunt. »Er könnte sehr nützlich für dich sein, wenn du dich benimmst. Du bist kein Straßenjunge mehr, vergiss das nicht. Du bist jetzt ein Mann, der für sich selbst sorgt. Das bedeutet, du musst

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