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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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sicherlich nicht eine wie Mirjam. Auf eine gewisse Weise aber bewunderte ich ihn auch, denn er hatte etwas, wonach ich selbst mich sehnte, etwas, das größer war als er, das ein Opfer von ihm forderte, ihn dafür aber auf seinem Weg leitete.
    Die übrigen Teilnehmer des Treffens standen stumm im Hof und warteten, bis die beiden ihre Diskussion beendet haben würden. Ein Mann namens Munjid flüsterte mir etwas zu. Es ging um seine Familie, die auf ihn wartete, und er fragte höflich, ob er das dem Genossen sagen könne. Ich blickte ihn an, Munjid lächelte unterwürfig und zog sogar andeutungsweise den Kopf ein. Nichts hat sich verändert, dachte ich, genauso könnte er vor einem der faulen Regierungsbeamten stehen.
    Ephraim und Ezra waren jedoch gerade fertig und verabschiedeten jeden der Teilnehmer einzeln. Munjid vergaß nicht, sich bei mir zu bedanken für etwas, das ich gar nicht getan hatte.
    Zu dritt blieben wir im Hof zurück, was anscheinend niemanden im Haus störte. Ephraim hatte sich beruhigt und von Ezra zur Versöhnung eine Zigarette bekommen. Nach einer Minute des Schweigens begann er in verändertem Tonfall zu erzählen. Es sprudelte aus ihm heraus, wahrscheinlich war er zu erschöpft, um es zu bemerken.
    So erfuhr ich, dass Ephraim keineswegs zu den reichen Juden gehörte, wie ich gedacht hatte. Seine Familie lebte nicht in Bataween, sondern nördlich im traditionellen Judenviertel, dort, wo die Gassen so eng waren, dass kaum ein Lichtstrahl einfiel. Ihre Nachbarn waren Handwerker und Händler, weswegen er sich dem einfachen Volk verbunden fühlte. Er gab zu, das Judentum zu hassen, nicht für irgendeine besondere Eigenschaft, sondern einzig für die allseitige Abgrenzung, die es bedeutete. Das war für ihn Inbegriff der Ausweglosigkeit, alles aber, wonach er sich sehnte, war Veränderung.
    »Jetzt ist die Zeit der Veränderung«, sagte er, und seine Stimme klang sanfter, beschwörender dabei. »Wir müssen nur dabei sein, die Zeichen erkennen. Dies hier ist nicht Babylon, wie unsere Alten immer sagen. Sie wollen es nicht sehen, vielleicht können sie es nicht, aber wir leben in einem Land des Aufbruchs. Alles wird sich von Grund auf ändern, glaubt mir. Es ist in Russland geschehen und strahlt von dort überallhin aus.«
    Ezra und ich schwiegen. Die leeren Sitzkissen lagen um uns wie eingedöste Zuhörer, die Öllampe flackerte kurz vor dem Erlöschen. Die Nacht war lau und doch bedrückend, Mücken umschwirrten uns ruhelos.
    »Und deswegen braucht ihr Waffen?«, fragte ich in die Stille.

10.
    D ie Gewehre kamen nur etwa eine Woche später an. Auf einem schmalen Kahn, unter Reissäcken und Wasserkanistern waren sechs Gewehre, ältere Lee-Enfields, versteckt.
    »Es ist gut«, sagte Malik sofort, als ich ihm von meinem Treffen mit der Gruppe berichtete. »Du erschleichst dir ihr Vertrauen. Mach dich unersetzlich. Und indem du die Waffen besorgst, schulden sie dir etwas.«
    »Sie werden mir nie vertrauen, gerade wegen der Waffen. Aber was willst du von ihnen?«, fragte ich, als wir mit der Lieferung unterwegs waren.
    Malik kühlte seine Hände im Wasser und antwortete nicht. Der Kahn glitt lautlos voran, Abdel, der ihn steuerte, stand aufrecht und hielt Ausschau nach möglichen Patrouillen. Alles verlief nach Plan. An der verabredeten Uferstelle legten wir an. Dort wartete Munjid. Aufgeregt gab er einen leisen Pfiff von sich und aus dem Unterholz kamen all die Leute, die ich beim Treffen gesehen hatte. Offenbar sollte jeder dabei sein. Ephraim trat als Letzter heraus.
    Malik rührte sich nicht, sondern musterte die Männer aufmerksam, als wollte er sich jedes einzelne Gesicht einprägen. Abdel sprang ans Ufer, holte die mit gewachstem Leinen umwickelten Gewehre hervor und warf das schwere Bündel dem Erstbesten in die Arme. Die Munitionskisten stellte er vor Ephraim auf die Erde. Dieser blickte nicht ein einziges Mal zu mir, nur die beiden Fremden behielt er im Auge. Er sagte nichts, nickte nicht einmal und verschwand als Letzter der Gruppe in den Büschen.
    »Das waren sie also«, sagte Malik nachdenklich. »Du hast sie als gefährlich beschrieben. So sehen sie aber nicht aus.«
    Abdel schob den Kahn wieder auf den Fluss hinaus. Malik wischte sich mit den nassen Händen über das Gesicht.
    »Sie erinnern mich eher an Studenten.«
    »Sie lesen viel.«
    Malik lächelte maliziös. »Na, jetzt haben sie ein paar neue Spielzeuge.«
    Drohend wie gespleißte Pfähle standen die Uferpalmen in der

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