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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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engen Höfe oft nicht einmal durch Mauern getrennt waren. Wir beobachteten die weit nach vorn gebeugten, zu Boden blickenden Lastenschlepper mit ihren grotesk hohen, in der Menschenmenge schwankenden Ladungen. Jeder hier war tätig, versuchte irgendetwas zu verkaufen, und sei es als Bettler sein Elend.
    »Hast du genug Geld?«, sagte Malik unvermittelt.
    »Nur, was sie mir dort geben«, erwiderte ich, »aber es reicht aus.«
    Malik hielt mir die offene Hand mit ein paar Geldscheinen hin. »Nimm das bis zum nächsten Mal.«
    »Warum lässt du mich nicht mit euch gehen? Ich will keine Geschenke von dir. Ich will wie die anderen mein Geld verdienen.«
    Malik ergriff meine Hand und schloss die Finger um das Geld. »Du willst ein Räuber werden, ein Dieb wie ich und die anderen. Aber du hast keine Ahnung.«
    »Ich kann klettern.«
    »Du weißt nichts von dem, was wir tun.«
    »Du vertraust mir nicht.«
    Malik seufzte. »Wie soll ich dir vertrauen, du kannst jederzeit nach Hause gehen und alles vergessen.«
    Ich verstand nicht, was er meinte. »Warum sollte ich das tun?«
    »Warum, weiß ich nicht. Du könntest es tun. Du bist noch immer frei und hast nichts getan, was das geändert hätte.«
    Ich verstand noch immer nicht. »Was meinst du?«
    Malik wurde ungeduldig. »Erinnerst du dich an die Demonstration? Abdel hätte alles getan, was ich ihm befahl. Und du? Würdest du alles tun, was ich dir sage?«
    »Ja.«
    »Du bist ein Dummkopf. Weißt du, was es bedeutet, jemanden grundlos umzubringen?«
    »Nein.«
    »Du stellst dich gegen Gott und gegen alles andere. Jemand wird vielleicht dein Blut wollen, und er hätte recht damit. Du kannst nicht mehr gehen, wohin du willst. Und es gibt keine Rückkehr. Wir sind keine Soldaten, die gefüttert und bezahlt werden, damit sie für ihr Land töten. Wir tun es nur für uns – und Abdel macht es sogar Spaß.«
    »Das ist es, was du von mir willst?«
    »Nein. Dafür habe ich die anderen. Du sollst etwas Besonderes für mich tun.« Er dachte kurz nach. »Aber wenn du unbedingt willst, musst du dich vorher beweisen.«
    Der Moment kam schneller, als wir ahnen konnten. Unser nächstes Treffen verabredeten wir wieder in der Altstadt, diesmal in der Nähe der Synagoge. Die Gassen dort waren schattig und so eng, dass Malik und ich nicht nebeneinander hineingehen konnten. Der Kletterer stand mit dem Rücken zum Ausgang der Gasse vor mir und sprach auf mich ein, als ihm plötzlich ein Strick um den Hals gelegt wurde. Ein hünenhafter Beduine riss Malik an seine Brust und zog zu. Dabei starrte er wie abwesend zu mir, der einen Satz zurück getan hatte und hilflos dastand. Der Angreifer zeigte keinerlei Regung, alles, was er tat, schien außerhalb seiner Kontrolle zu liegen. Malik ruckte nach beiden Seiten, versuchte das Seil zu greifen und lief blau an.
    Ich war vor Entsetzen gelähmt, da gelang es Malik, den Beduinen mit sich zu Boden zu reißen. Sie fielen nach vorn und der Mann lag nun auf Maliks Rücken, ohne das Seil aus den Händen zu lassen. Ich wollte ihn angreifen, da sah ich die Hand des Kletterers nach vorn schnellen. Sie hielt ein Messer, das zu mir wies. Ich zögerte nicht, nahm es und stieß zu, zielte auf den Hals. Der Mann aber ließ das Seil rechtzeitig los und wehrte den Stoß ab. Er sprang auf mich zu, packte mich und schlug meinen Kopf gegen die Hauswand, bis ich zusammensackte. Danach ging er wieder ans Werk, drehte den röchelnden Malik auf den Rücken, packte seinen Hals mit der einen, das Gesicht mit der anderen Hand und bohrte seinen Daumen in das gesunde Auge des Kletterers. Maliks Schreie rissen mich aus der Benommenheit. Ich hielt das Messer noch in der Hand, sah das Blut am Daumen des Beduinen, sprang auf und traf diesmal die Wange des Mannes, der sofort die Hände vor das Gesicht schlug und sich zurückfallen ließ. Malik grunzte vor Schmerzen und hielt die Hände vor sein Auge. Durch die Finger aber blickte er auf den Mann, der dabei war, sich wieder aufzurappeln.
    »Töte ihn«, keuchte Malik nur ein einziges Mal und ich sprang auf den Beduinen zu, trat seinen Kopf zu Boden, riss das Kinn nach oben und schnitt ihm die Kehle durch.
    Fliegen und Staub schwebten im schräg einfallenden Licht, vertrocknete Federn sanken herab, der Beduine starb unter Zuckungen. Ich stand über ihm und begriff nicht, was ich sah. Mein Kopf schmerzte, warm rann mir das Blut in den Kragen. Als ich das Messer in meiner Hand betrachten wollte, schwankte ich. Vor dem Ausgang der Gasse

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