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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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Häuser, in dem die wahren Schätze zu finden waren. Doch das Stehlen interessierte mich nicht sonderlich, ich tat es aus Solidarität mit der Bande. Für mich zählte nur der Aufstieg, ich lechzte nach der Anspannung der Muskeln von den Fingern bis in die Füße, die meinen Körper so nah am Gemäuer hart und langsam werden ließ, meinen Geist hingegen leicht.

2.
    S eit ich für die Offiziere arbeitete, hatte ich Ezra nicht mehr gesehen. Wir begegneten uns einfach nicht mehr so oft wie früher auf der Straße. Zudem hegte ich den Verdacht, dass es mit der Waffenlieferung an Ephraims Gruppe zu tun hatte. Wahrscheinlich hielten mich nun alle tatsächlich für gefährlich und wahrten Abstand. Der Gedanke verärgerte mich, denn immerhin hatte ich ihnen einen Gefallen getan. Und wenn Malik recht hatte mit der Behauptung, die Lieferung würde Folgen haben, dann hatte ich mich dafür sogar in Gefahr gebracht. Auch diese Leute benutzen nur, wen sie gerade brauchen, sagte ich mir verbittert, nie kann man auf sie zählen. Woher wissen sie, dass nicht ich ihre Hilfe benötige?
    Zu einer der Versammlungen zu gehen, kam mir dennoch nicht in den Sinn. Nach meiner Meinung mussten Ephraim und Ezra begriffen haben, dass ich nicht zu der Sorte von Leuten gehörte, die in Büchern und in den Weisheiten kluger, toter Männer aus Europa die Lösung ihrer Probleme fanden. Wenn ich jetzt, fast ein Jahr nach den Ereignissen damals, daran zurückdachte, amüsierte mich die improvisierte, schutzlose Konspiration und etwas, das ich nicht recht benennen konnte: ihr naiver Stolz.
    Und dennoch, zu ernst und drohend waren die Worte Ephraims gewesen, als dass nicht doch ein Zweifel in mir zurückgeblieben wäre. In Europa hatte Hitler tatsächlich einen Krieg begonnen, ganz so, wie Ephraim es vorhergesagt hatte. Die Welt starrte wie gebannt auf das Geschehen, die Briten und die ihnen wohlgesonnenen Schreiberlinge drohten Deutschland in der »Iraq Times«, doch niemand griff ein. Dieser Krieg war ganz offensichtlich kein Naturereignis und doch wirkte er so, und schon bald setzte sich der Gedanke seiner Unabwendbarkeit in den Köpfen der Menschen fest. Mehr noch, er schien Vorbote jener Veränderung zu sein, die alle so lange schon herbeisehnten.
    Ich begegnete Ezra zufällig auf dem Rückweg von einem der Treffen mit Malik. Ich war noch beschäftigt mit dem ernsten Gespräch, das hinter mir lag; wie so oft hatte der Kletterer lange eindringlich und warnend auf mich eingeredet und wie so oft hatte ich all das sortiert, indem ich das für mich Wichtige herauszufiltern suchte. Natürlich wollte ich dabei keinen Fehler machen, denn Maliks Art zu reden hatte etwas Unberechenbares wie er selbst; in einer beiläufig hingeworfenen Bemerkung konnte eine wichtige Mitteilung stecken.
    Ich schaute auf und tat einen Schritt zurück, als Ezra plötzlich vor mir stand. In den Händen hielt er zwei lebende Hühner, die er gerade gekauft hatte und nun zum koscheren Schlachter bringen wollte. Zu meiner Verwunderung befanden wir uns auf dem Hannoon-Markt mitten im jüdischen Viertel der Stadt. Von dem Platz, an dem wir standen, gingen sternförmig kurze Gassen ab, so voller Menschen, dass man meinte, man könne sie nicht betreten. Hier reihte sich Geschäft an Geschäft, Schlachter, Fisch- und Gemüsehändler, und sowohl die Verkäufer als auch die Kunden waren ausschließlich Juden. Ein paar Schritte weiter erhob sich eine kleine Synagoge, die es, genau wie die Moscheen im muslimischen Basar, den Leuten hier ermöglichte, die religiösen Pflichten mit denen des Alltags zu verbinden. Wenn ich dort auch nie etwas kaufte, so fühlte ich mich doch immer wohl inmitten des geschäftstüchtigen Lebens, das für jüdische Männer ebenso wichtig war wie für muslimische; denn das Einkaufen von Lebensmitteln war Männersache und ermöglichte tagtägliche Teehausbesuche und allerlei Gespräche im Vorbeigehen.
    Kurz war es mir unangenehm, Ezra wiederzusehen, so als hätte ich etwas vor ihm zu verbergen. Dann aber wärmten mich sogleich die Erinnerungen an eine Zeit, die nicht sehr lange zurücklag, mir aber wie aus einem anderen Leben erschien.
    »Ich dachte schon, du würdest an mir vorbeigehen«, sagte Ezra wohlgelaunt. »Warum schaust du mich so an?«
    Ich schüttelte rasch den Kopf. »Bin nur überrascht.«
    »Ich auch, das kannst du mir glauben.«
    Wir gingen nebeneinander her wie früher, doch ich konnte mich nicht wirklich beruhigen. Auf die Frage, wie es mir ginge und

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