Ein weißes Land
Whisky ein und schob eines der Gläser mit dem Finger vor mich. Dann tippte er auf meine Hände.
»Aber ich verstehe dich. Du willst höher hinaus, wie beim Klettern. Das ist es. Überlass diesen Unsinn mit der Freiheit Malik. So reden arme Leute, die immer arm bleiben werden.«
Er trank sein Glas in einem Zug aus und lehnte sich zurück. Sein Blick war glasig geworden, doch er schien vergnügt zu sein. Seine Finger trommelten auf die Tischplatte. Nach einer Weile sagte er:
»Ich werde dafür sorgen, dass du ein paar Leute kennenlernst. Ja, das werde ich tun. Wenn du klettern willst, klettere. Ich habe nichts dagegen, schau dich ruhig um. Und danach sagst du mir alles.«
In der Ferne verließ wieder ein Zug den Bahnhof, und diesmal klang es, als würde er die Stadt tatsächlich verlassen.
Ich wusste nicht recht, was ich von der Ankündigung Nidals halten sollte. Es klang, als würde dieser Mann ein Experiment mit mir vorhaben. Malik sagte zunächst nichts dazu. Im Lager der Bande am Tigrisufer lag er auf einem Strohsack und trug noch immer die Augenbinde, allerdings nur, weil er empfindlich gegen den Staub war. Auch schien ihn das künstliche Blindsein zum Nachdenken anzuregen. Seit dem Überfall hatte er sich verändert, war argwöhnisch und schweigsam geworden. Ich wartete auf den Moment, in dem er einen Fehler machen würde, und glaubte, er stünde kurz bevor. Doch Malik überraschte mich.
»Du hast recht«, sagte er, »Nidal war es nicht. Er hatte keinen Grund, es zu tun.«
»Wer dann?«
Malik setzte sich auf und zog die Binde vom Auge. »Ich weiß es nicht«, sagte er erschöpft. »Und je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger weiß ich es.«
Nach meinem ersten Mord durfte ich die Bande überallhin begleiten. Doch übernahm das Klettern immer Malik, während ich mit Bashir Wache stehen musste. Ich war jetzt zumindest an einigen kleinen Einbrüchen beteiligt und doch hatte Malik sein Versprechen nicht gehalten. Das nahm ich ihm übel und gelegentlich warf ich es ihm sogar vor.
Schließlich hatte Malik genug davon. In einer frischen Spätsommernacht stiegen wir gemeinsam in das Haus eines reichen Arabers ein. Der Mann hatte ein paar Nichtsnutze von Wachen vor dem Haus postiert, die zusammengekauert zu beiden Seiten der Auffahrt schliefen, bevor Abdel sie mit Tritten weckte und in die Flucht schlug.
Der Aufstieg war leicht, die Mauer des alten Hauses bot so viele Grate und Einbuchtungen, dass wir in kürzester Zeit den zweiten Stock erreicht hatten. Malik gab mir Zeichen, innezuhalten und abzuwarten. Ich atmete ruhig und blickte schräg in die aschgraue Gasse hinab, dann zu den gegenüberliegenden Flachdächern. Und wieder verspürte ich jenes einzigartige Gefühl, wieder schlug mein Herz heftig gegen die kühle Mauer. Nidal weiß nichts, dachte ich, es gibt doch jemanden in diesem Land, der frei ist. Gleich darauf überkam mich ein Gedanke, den ich seit der Sache mit dem Beduinen nicht aus dem Kopf bekommen konnte: Ich bin derselbe wie vorher, nichts hat sich verändert, ich tue und denke die gleichen Dinge – ob ich es getan habe oder nicht, es ist kein Unterschied.
Malik stieß mich heftig an. Wir überstiegen die Mauer und schlichen auf dem Dach vorbei an der schlafenden Familie. Der Mann hatte offenbar mehrere Ehefrauen, mit einer lag er unter dem blickdichten Stoffzelt, das Privatheit ermöglichte. Malik wies auf das Zelt und machte eine eindeutige Handbewegung. Der Hausherr jedoch schnarchte bereits.
Die Tür zur Treppe stand offen, wir schlichen abwärts in die Wohnräume, das Haus war noch erfüllt vom Duft des Abendessens. Ganz unten standen wir plötzlich vor einer älteren Frau im Schlafgewand. Mir stockte der Atem und Malik hob sofort die Hände. Doch er tat nichts, denn die Frau wandelte an uns vorbei, ohne etwas zu bemerken. Sie ging in die Küche, trank dort und kam zurück. Maliks gezielter Schlag traf sie so präzise, dass sie zusammenbrach und in seinen Armen landete. Er ließ sie vorsichtig zu Boden gleiten und mahnte mich mit einer Geste zur Eile.
Das Haus war nicht zu vergleichen mit dem der Golans. Dennoch fand Malik in den unteren Zimmern einigen Goldschmuck. Ich jedoch, sosehr ich mich bemühte, suchte vergebens. Nach etwa zehn Minuten verließen wir den Ort ohne Aufsehen, öffneten die Terrassen- und Hoftür von innen.
Späterhin lernte ich alles über die immer gleichen Verstecke für Schmuck und Geld und über den Kellerraum im Untergeschoss der wirklich großen
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