Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
Vom Netzwerk:
ansprechen. Beim Anblick von Mr. Otto geriet ich ins Staunen. Ich hatte noch nie jemanden gesehen, der so skurril elegant gekleidet war, außer vielleicht im Kino. Dieser Mann aber stand leibhaftig vor mir. Er war nicht mehr jung, sein dichtes graues Haar trug er sorgfältig zurückgekämmt, der hohe Kragen seines strahlend weißen Hemdes verdeckte die schlaffe Haut unter dem Kinn. Eine dunkelgrüne Seidenkrawatte mit winzigen aufgestickten Blüten und ein tiefrotes Einstecktuch zierten seinen schwarzen Dreiteiler.
    »Weißt du, was das ist?«, sagte Mr. Otto zu mir, der ihn noch immer angaffte, und wies auf seine Krawatte.
    Ich schüttelte den Kopf und wunderte mich in meiner Überraschung überhaupt nicht, von diesem Deutschen in fast perfektem Arabisch angesprochen zu werden.
    »Wir nennen es Edelweiß.« Mr. Otto hob vor meinem Gesicht den Zeigefinger. »Es ist sehr selten und wächst nur in den Bergen, hoch oben, dort, wo der Adler nistet.« Er lächelte unter seinem dünnen, leicht gezwirbelten Schnurrbart.
    Ein wenig erinnerte er an Errol Flynn, aber dann auch wieder an jenen wilden schwarzen Mann aus dem Cotton Club in New York, der sein Publikum mit einem Taktstock zum Singen animierte und den ich von Fotos kannte.
    Zwei der Offiziere führten Mr. Otto in den hinteren Raum. Den Mantel abstreifen und fortgeben und sich in einen der Sessel fallen zu lassen, war eine einzige fließende Bewegung bei ihm. Die langgliedrigen Hände vor dem Kinn verschränkt erwartete er seine Gastgeber, die sich respektvoll im Halbkreis um ihn platzierten. Nidal schob zwei der anderen Kellner beiseite, packte meine Schulter, zog mich mit in den Raum und schloss die Tür hinter sich.
    Natürlich beherrschte Mr. Otto das Gespräch. Auch wenn er hin und wieder einen der Offiziere seine Meinung äußern ließ, so war er doch nur wenig daran interessiert. Es ging ihm vor allem darum, die Männer aufzuklären über das, was in Europa, speziell im Deutschen Reich, wirklich vorging. Er sprach von einer großen, umfassenden Erneuerung des deutschen Volkes, davon, wie es wiedererstarkte und bereits jetzt den ängstlichen Respekt seiner Nachbarn genoss.
    »Ich habe mein Leben mit der Kultur verbracht«, sagte er, »Kunstwerke waren mir immer wichtiger als die Handgriffe des täglichen Lebens, sind sie doch geronnene, verdichtete Essenz, Summe völkischen Tuns. Die Einzeltat – und sei sie auch Ergebnis heroischer Gesinnung – fällt der Zeit anheim, das Werk aber, zusammengesetzt aus einer Vielzahl von Taten und Entscheidungen, überdauert und legt Zeugnis ab für die Wesensgestalt jener Gemeinschaft, der es entsprungen ist.«
    Ich verstand nicht recht, was er sagte, bemerkte aber, dass sich Mr. Otto vom Rhythmus seines eigenen Sprechens davontragen ließ. Die Offiziere standen alsbald in seinem Bann, obwohl auch sie nicht den Eindruck machten, als würden sie ihm folgen können.
    »Eine der großen Leistungen des Islams«, fuhr der Deutsche fort, »ist seine über Jahrhunderte bewiesene Fähigkeit, dem sich ausbreitenden Judentum Einhalt geboten zu haben. Die Juden haben nichts hervorgebracht, was den Begriff Kultur rechtfertigen könnte. Ihre Religion ist leerer Mystizismus, nur aufgerichtet, um den einzigen Gedanken zu bemänteln, dem dieses Volk zu folgen fähig ist: Sich überall festsetzen und ausbreiten, mit allen Mitteln das eigene Wachstum befördern, am liebsten jedoch durch Schachern und Taktieren. Sie, meine Herren, wissen, wovon ich rede. Nun, ich bin mir wohl bewusst, dass ich mit Soldaten beisammensitze, die sich nicht um Fragen der Religion und Kultur scheren. Was ich Ihnen jedoch mitteilen will, ist Folgendes: Es geht hier nicht um religiöse Ideen, sondern um die Kraft, die ihnen entspringt. Ich komme gerade aus Kairo, wo ich die letzten zwei Jahre verbracht habe. Dort, wie an vielen anderen Orten der Region, haben fortschrittliche Kräfte längst verstanden, dass die alten, im Grunde ort- und ziellosen religiösen Kämpfe überführt werden müssen in nationalreligiöse Erhebungen. Dies ist der einzige Weg zur Befreiung ebenso vom Joch der Fremdbestimmung wie der jüdischen Unterwanderung.«
    Jetzt kam Leben in die Offiziere, mehrere machten Anstalten, das Wort zu ergreifen, wagten es dann aber doch nicht. Mr. Otto hob die Hände und lächelte.
    »Hören Sie mir noch ein paar Sätze lang zu. Mit großem Bedauern habe ich, hat das Deutsche Reich zur Kenntnis nehmen müssen, dass Ihr junger König verunglückt ist, möge

Weitere Kostenlose Bücher