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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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Allah seiner Seele Frieden geben.« Er machte eine bedeutsame Pause. »Aber ist Ihnen, trotz all der Trauer, die nun in Ihren Herzen wohnt, nicht auch der Verdacht gekommen, dass dies nicht der Wille Allahs, sondern vielmehr sehr irdischer Mächte war?« Die Offiziere scharrten mit den Füßen. »Ist es nicht offensichtlich, wer den größten Vorteil aus seinem Tod zieht? Die Briten und die ihnen wohlgesonnenen Juden. Ich weiß, Gedanken wie diese schmerzen in Zeiten der Trauer besonders. Aber wir dürfen die Tücke und Verschlagenheit unseres Gegners nicht unterschätzen, wir müssen uns ihm vielmehr darin, so schwer es fällt, anpassen, ja, ihn sogar überbieten.«
    Die Offiziere überschütteten ihn mit Fragen. Es ging vornehmlich um das Verhältnis Deutschlands zu Großbritannien, um Hitlers Pläne für die Zukunft. Aber Mr. Otto winkte ab.
    »Ich bin kein Politiker, sondern nur ein Mann der Künste und des Geistes. Und was den Führer betrifft – wer könnte sagen, was in diesem genialen Menschen vorgeht. Doch wir sind alle voller Vertrauen und Zuversicht. Es stehen große Zeiten bevor, gewaltige Veränderungen. Und hier« – er wies auf den Steinboden, der noch immer frisch gewischt glänzte – »ist einer der Orte, an denen sie schon bald sich zeigen werden.«
    Man trank Whisky, Mr. Otto genoss die Gegenwart der Männer sichtlich. Immer, wenn ich an den Tisch trat, um ihm nachzuschenken, berührte der Deutsche mich sacht und bedachte mich mit einem Lächeln.
    Die Stimme Nidals überschlug sich fast, als er ihn fragte, welche Pläne Hitler für den Irak habe.
    Mr. Otto holte tief Luft und antwortete:
    »Sie brauchen keine Angst vor neuer Abhängigkeit und Unterwerfung zu haben. Der Krieg, der gerade begonnen hat, dient der Befreiung vom Joch des Judentums, von den Überresten der alten Entente cordiale in Afrika und vom Joch des Empire hier. Und Sie, meine Herren, können sagen, Sie sind dabei gewesen.«
    Danach schien er sein Pulver verschossen zu haben und entspannte sich. Er schwelgte in Erinnerungen an seine Reisen in Ägypten und Transjordanien. Sein Lieblingsthema aber war der britische Spion T. E. Lawrence, weithin berühmt als Lawrence von Arabien. Vor diesem Mann, obwohl von der feindlichen Seite, hatte er großen Respekt. Es schien sogar, als wäre er ein Vorbild, dem er nacheifern wollte. Immer wieder wies er darauf hin, mit wie viel Hartnäckigkeit und Geschick Lawrence die arabischen Stämme für die Interessen des Empire gegen die Osmanen eingespannt hatte. Hier wurde Mr. Otto kurz wieder ernst und feierlich:
    »Das ist die Strategie der Zukunft in dieser Region. Regionale Zwistigkeiten müssen gebündelt und dem höheren Ziel untergeordnet werden. Dazu aber muss man die Region gut kennen. Es braucht kundige Männer, um hier die Lunte zu finden, die man hernach entzünden will. Aus diesem Grund, meine Herren, gibt es in der Wilhelmstraße in Berlin bereits eine eigene Abteilung für den Nahen Osten. Und, das kann ich hier offen sagen, aus diesem Grund sehen Sie mich vor sich sitzen.«
    Als dies gesagt war, widmete er sich ausführlich der Beschreibung seiner Sammlung von Kulturgütern, die er im Laufe der Jahre zusammengetragen hatte. Die Beduinen waren ihm dabei besonders ans Herz gewachsen, und ich war sicher, dass niemand im Raum diese Leidenschaft Mr. Ottos teilte.
    Allmählich wurden die Männer müde, gähnten verschämt hinter ihren Whiskygläsern und starrten an die Decke. Der Deutsche bemerkte es, nahm aber keine Rücksicht darauf. Zur Überraschung aller und gewiss unter dem Einfluss des Alkohols erhob sich Mr. Otto, schob den Sessel zurück und breitete die Arme aus. Sein gerötetes Gesicht glänzte, er räusperte sich.
    »Endlich«, hob er an, »ja, als Deutscher in dieser Zeit sage ich es mit Inbrunst, endlich gibt es eine Bewegung, die den Einzelnen trägt. Aus all dem …«, er griff sich an die Stirn, blickte suchend um sich, »dem winselnden Strudeln, den Zwistigkeiten und Diskussionen ist endlich ein brüllender, ein reißender Strom geworden. Und, meine Herren, die Kraft, die er entfaltet, ist ungeheuerlich, sie wirkt bis hier. Es liegt etwas Bezwingendes, etwas Großartiges darin, all die Vereinzelten, die Arbeiter und die Intellektuellen, die Armen und die Reichen zusammenzuschmieden. Sie, meine Herren, kennen diese Kraft besser als wir Christenmenschen in Europa, die die einende Kraft der Gemeinschaft und des Aufbruchs längst schon vergessen, nein, verkauft haben an das

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