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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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dazu?«
    Ich wurde unruhig, ihr ewiges Bohren verärgerte mich.
    »Ich weiß es nicht, ich hab’s einfach getan«, erwiderte ich und entfernte mich langsam von ihr.
    Mirjam ließ mich zunächst gehen, folgte mir dann aber, das Limonadenglas wie zum Schutz dicht vor dem Mund.
    So, die Hände in den Taschen, zur Bar hinüberzuschlendern, sah ich mich wieder für Momente durch einen Film wandeln. Ich war zufrieden mit mir, war so aufgetreten, wie es mir entsprach, und nicht wie der kleine Junge, zu dem ich beim letzten Mal gemacht worden war. Von mir aus konnte es so bleiben, ich wollte ein Mann unter Männern sein und nicht das Spielzeug von Mirjam.
    »Wir haben uns schon gefragt, wo du bleibst«, sagte Ezra, als ich mich neben ihn stellte.
    Der halbe kommunistische Lesekreis war da, Munjid erhob sich sofort, um mir die Hand zu geben. Ephraim hingegen kippelte auf seinem Stuhl und blickte mich stumm und skeptisch an. Auch er hatte sich verändert. Diesmal lag kein Buch vor ihm und er wirkte auch sonst nicht mehr wie der blasse Intellektuelle, als den ich ihn kennengelernt hatte. Ephraim trug jetzt einen Kinnbart, seine Koteletten kräuselten sich dunkel und umrahmten das schmale Gesicht. Das ließ ihn abweisend und wild zugleich wirken.
    Mirjam drängte sich zwischen Ezra und mich, ich spürte ihren Arm an meinem, und sie machte keine Anstalten, die Berührung zu beenden.
    »Ich muss mit dir reden«, sagte Ephraim in ernstem Ton zu mir.
    »Oh ja«, ahmte ihn Mirjam nach, »ich muss auch noch mit ihm reden. Er ist ein sehr wichtiger Mann und es geht um sehr wichtige Dinge. Wir brauchen mehr Datteln, Datteln für den Kampf.«
    Außer ihr waren nur noch zwei Frauen ihres Alters anwesend. Sie kicherten, während die Männer erwartungsvoll zu Ephraim schauten. Dieser sprang schnaufend auf und stieß Mirjam beiseite.
    »So kann das nicht weitergehen«, flüsterte er aufgebracht. »Es ist schon gefährlich genug, überhaupt hierherzukommen, und dann redet sie noch, als wäre all das nur ein Spiel. Wieso erzählst du ihr überhaupt von all dem?«
    »Du weißt doch, wie sie ist«, sagte Ezra, »sie würde es ohnehin herausbekommen. Aber du kannst ihr vertrauen. Sie albert nur herum.«
    Ich blickte über Ephraims Schulter zu der Gruppe hinüber und fing Munjids aufmerksamen Blick auf. Malik hat recht, dachte ich, während dieser Idiot hier glaubt, Mirjam sei das Problem.
    »Warum schütteltest du den Kopf?« Ephraims Frage riss mich aus den Gedanken.
    Ich lächelte rasch. »Nur, weil ich Ezras Meinung bin. Worüber wolltest du denn nun mit mir sprechen? Geht es wirklich um neue Datteln?«
    Ezra schnaufte, doch Ephraim blieb sehr ernst und brauchte einen Augenblick, bis er antworten konnte.
    »Komm mit«, sagte er dann und zog mich diesmal von Ezra fort.
    »Kann ich dir vertrauen?«
    »Ja«, sagte ich. »Aber eigentlich musst du das selbst wissen.«
    »Die Lage ist ernster als je zuvor.« Ephraim blickte sich gehetzt um. »Wir brauchen mehr Waffen. Und wir brauchen sie schnell. Es kann jeden Tag losgehen. Liest du die Zeitung?«
    »Nein«, sagte ich gelassen.
    Ephraims übertriebene Furcht amüsierte mich. Nichts war übrig von meiner Bewunderung für den Ernst dieses Mannes. Ich spürte, wie wohl mir die Verachtung tat; sie entspannte mich.
    »Wie auch immer. Kannst du noch mehr Gewehre besorgen und vielleicht auch Granaten?«
    »Was habt ihr vor?«
    Ephraim ging nicht darauf ein. »Worauf es ankommt, ist, dass es schnell geht. Kannst du es oder nicht?«
    Ich wiegte den Kopf. »Das kann ich dir jetzt nicht sagen. Ich muss das organisieren.«
    »Wie lange wird es dauern?«
    »Ich weiß es nicht. Du musst warten. Anders geht es nicht.«
    Ephraim war mit dem Ergebnis der Unterredung unzufrieden, doch ging mit mir zurück zu den anderen, bemüht, sich nichts anmerken zu lassen.
    Den Rest des Abends ließen wir unaufhörlich das Grammophon spielen. Wir hörten den gesamten kleinen Stapel von Schallplatten durch, gleich mehrmals und zur großen Freude aller erklang »Hatikva«. Eine Platte ließ seltsame neue Musik ertönen, die Ezra »Jazz« nannte. Er sagte, sie komme direkt aus Amerika und sei dort jetzt sehr modern. Ich musste sie mir dreimal vorspielen lassen, bevor ich der nervösen, tänzelnden und doch auch singenden Trompete überhaupt folgen konnte. Zunächst wandte ich mich ab und meinte, es nicht ertragen zu können. Doch dann gefiel es mir, ich schloss kurz die Augen, und, ohne irgendein Bild für das, was ich hörte,

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