Ein weißes Land
ewig Streit säende Judentum und sein Großkapital. Sie hier haben sich die Einheit von Denken, Glauben und Handeln bewahrt, trotz Jahrhunderten der Unterdrückung, der Bevormundung. Das ist eure Leistung, widerstanden und gewartet zu haben, bis endlich Deutschland, das deutsche Europa, erwachte, um euch die Hand zu reichen.« Kurz schien er zu erwachen. Aufgestört blickte er in die Runde, wollte sich setzen, überlegte es sich aber doch anders. »Die Kraft«, fuhr er leiser fort, »die sich hier entfaltet, ist unbezwingbar. Niemand weiß, was geschehen wird, aber: Nichts wird beim Alten bleiben. Mir schwindelt, wenn ich daran denke, glauben Sie mir.« Er schwankte wirklich, tastete nach den Armlehnen des Sessels und ließ sich zurück in die Sitzfläche fallen.
Es dauerte noch über eine Stunde, bis er endlich zum Aufbruch bereit war. Er verabschiedete sich bei allen, auch bei mir, der ihm in den Mantel half, ließ die Leibwächter die Straße vor dem Gebäude inspizieren und folgte dann, gebeugt und hastigen Schritts wie ein eiliger Angestellter.
Als er fort war, kehrte rasch Ruhe ein. Die meisten der Offiziere verabschiedeten sich ebenfalls, Nidal ließ sich noch einen Whisky einschenken.
»Das war unser hoher Besuch aus Deutschland«, sagte er zu mir, verzog leicht die Lippen und nickte dabei vor sich hin. »Wir sind noch nicht so weit, wie er glaubt – aber immerhin ist er bereits hier. Du verstehst nichts, oder?«
Ich hob die Schultern und wiegte den Kopf. Mit zwei Fingern winkte er mich zu sich. Ohne Vorwarnung schlug er mir mit der flachen Hand zwischen die Beine und packte zu. Ich krümmte mich und schrie auf, Nidal stieß mich von sich.
»Was ist damit? Fühlst du da unten nichts? Du kannst nicht ewig nur auf den Boden starren.«
Ich stand da, hilflos auf den Besen gestützt, und antwortete nicht.
»Gut, es ist zwar spät«, sagte Nidal nach einem Blick auf die Uhr, »aber ich glaube, es ist nie zu spät, etwas zu lernen.«
Er erhob sich, knöpfte seine Uniformjacke zu und gab den beiden anderen Jungen Anweisung, meine Aufgaben zu übernehmen.
Wir machten uns zu Fuß auf den Weg. Schweigend führte Nidal mich zu einem unbeleuchteten Haus im alten Viertel. Der schmale Bau mit den zerbrochenen Balustraden erhob sich eingezwängt zwischen einem leerstehenden Lagerhaus und der Außenmauer eines ebenfalls verlassen wirkenden, jedoch neu erbauten Geschäftsgebäudes. Das düstere Haus hatte die Zeiten überdauert, doch schien es allmählich abzusterben in seiner Isolation.
An der Tür zog Nidal mehrmals an einem herabhängenden Band. Es dauerte, bis jemand öffnete, den ich jedoch nicht erkennen konnte. Wir traten ein in das fast vollständige Dunkel einer Art Korridor, ich blieb dicht hinter Nidal und riss die Augen auf, um den blassen Lichtschein, der vor uns durch einen Vorhang fiel, deutlicher sehen zu können. Es war eine ältere Frau, die uns hereingelassen hatte. Sie schob den Vorhang beiseite und wies mit ausgestrecktem Arm auf die Reihe der gewaltigen Sitzkissen entlang der Zimmerwand. Dort schliefen vier junge Frauen, ihre Münder standen offen wie die von Kindern. Eine brennende Kerze am Boden vor ihnen beleuchtete den Raum. Es roch nach Rauch, verschwitzter Kleidung und süßem Parfum.
Die alte Frau zog ein Ende ihres Kopftuchs vor das Gesicht. Sie sprach zu Nidal, blickte ihn aber nie an dabei. Es bedurfte nur weniger Worte, dann ging sie zu den Schlafenden hinüber und weckte zwei von ihnen. Nidal bot mir eine Zigarette an und teilte mir mein Mädchen zu.
Sie war unverschleiert und barfuß und trug nichts als ein einfaches Baumwollgewand. Als sie auf mich zukam, richtete sie sich mit der Hand notdürftig das Haar, jetzt erst erkannte ich im Dämmerlicht ihr geschminktes Gesicht. Sie hätte ausgesehen wie eine Puppe, wäre sie nicht so verschlafen gewesen. Ohne ein Wort zog sie mich in eine der mit einem rötlichen Tuch verhängten hinteren Kammern.
Der enge Raum mit dem formlosen Lager am Boden war so stickig, dass mir der Schweiß ausbrach, sobald ich ihn betreten hatte. Beinahe stieß ich eine gefüllte Wasserschale um. Bei allem, was sie nun tat, beobachtete ich sie wie einen Angreifer. Sie nahm meine Hand und drängte mich auf das Lager. Doch stur wie ein Esel blieb ich stehen; es schien mir sicherer so. Sie blickte mich ratlos an, ihr roter Mund glänzte feucht. Aus der Kammer nebenan drang Nidals Grunzen und Fluchen, es klang, als habe er dort Schwierigkeiten.
Die Frau kniete
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