Ein weites Feld
die
Lippen kommt. Respekt, Fonty, Respekt! War aber nicht
Ihr erster Erfolg bei den sonntäglichen Versammlungen in
Tabak- und Kaffeespelunken. Ihre Mache gefiel schon
zuvor. Nacheinander bekamen ne Menge preußischer
Totschläger, ›Der alte Derffling‹, ›Der alte Zieten‹,
›Seydlitz‹, ›Schwerin‹ und ›Keith‹, Beifall bis ins Protokoll hinein. Doch zu Zeiten des sogenannten
Vormärz waren Sie häufig durchgefallen.
Jedenfalls solang Sie bei dem von uns observierten
Herwegh in die Schule gingen. Ihre Übersetzungen nach
englischen Arbeiterdichtern: ein glatter Mißerfolg! Zum
Beispiel ›Der Trinker‹, vorgetragen im Tunnel am 30. Juni
43. Wollten wohl damit Ihren Freund Lepel und den
gesamten verseschmiedenden Adel aufrütteln. Das Portrait
eines versoffenen Proletariers. Hörte man gar nicht gern.
Auch nicht ›Des Gefangenen Traum‹: ›Das Volk ist arm!
Warum? Warum verprassen die hohen Herrn des Volkes
Hab und Gut?‹ Peinlich, Fonty, hab ich noch immer im
Ohr, Ihre allzu nackte soziale Anklage. War ja nicht nur
dem Objekt Herwegh auf der Spur, sondern auch, was
mein Biograph meinte nicht erwähnen zu müssen, den
Herwegh-Epigonen, darunter einem zweiundzwanzigjährigen Fant, der seine Apothekerprüfung noch nicht
hinter sich hatte, doch in Leipzig und anderswo fleißig
gegen die Obrigkeit konspirierte. Na, soll ich nachhelfen?
›Doch die Wände haben Ohren, und kaum weiß ich, wer
du bist, und ich wäre schier verloren, hörte mich ein
Polizist …‹ Zweiundvierzig war das. Wolfsohn, Max
Müller, Blum, Jellinek hießen Ihre zuhörenden Freunde,
die Sie allesamt, als es brenzlig wurde, gegen Lepel
ausgetauscht haben. Und der hat Sie dann in den
reaktionären Tunnel eingeführt. Nationalliberal nannten
sich die Herren Merckel und Kugler. Gaben sich
hochtrabende Namen, daß ich nicht lache! Xenophon und
Aristophanes, Petrarca natürlich. Freund Lepel war
Schenkendorf. Ihnen hat man als Vereinsmeiernamen, fast
zu naheliegend, Lafontaine verpaßt. Und mich, den der
erzreaktionäre Redakteur der Kreuzzeitung, ne längst
vergessene Größe namens Hesekiel, mehr eingeschleust
als eingeführt hatte, mich, den eher passiven Literaturliebhaber, glaubte man mit dem Namen eines mausetoten Stückeschreibers in russischen Diensten ehren zu können. Warum nicht? Gar nicht so übel seine Komödien. Wurde übrigens geboren, als ein Student Kotzebue erdolchte. Ohne diesen Mordanschlag hätte es womöglich keine Karlsbader Beschlüsse, keine Demagogenprozesse, kein Wasnochalles gegeben. ›Ein weites Feld‹, wie Ihr Briest zu sagen pflegte. Doch grundsätzlich waren Sie wohlgelitten bei den Tunnelbrüdern, trotz der Proletarierverse. Hat nicht der junge Heyse, der Sie bewunderte, passende Reime gefunden? Ich krieg’s noch zusammen. ›Doch der ist ein Dichter! weiß ich sofort, Silentium! Lafontaine hat’s Wort.‹« Fonty lächelte über dem Rest seiner Cola, doch war dem heiteren Anschein eine gallige Farbspur beigemischt. Ganz gegenwärtig und ganz vergangen sagte er: ›Ja, Hoftaller, Sie waren als Tallhover superb. Selbst ohne Hinweis auf Kotzebue sind mir Ihre Schofelinskischaften erinnerlich geblieben. Finde allerdings in meinem sonst gut sortierten Gedächtnis keinen Hinweis, daß Sie irgend etwas, und sei es einen Ihrer Polizeiberichte, in gereimter Fassung vom Blatt gelesen hätten. Menzel, den wir ›Rubens‹ nannten, hat ja trotz Tabakdunst und funzligem Licht etliche Skizzen aufs Papier geworfen und so einige der inzwischen total vergessenen Verseschmiede verewigt, aber Sie sind uns leider auf keinem Blatt erhalten. Kann jedoch sein, daß man Ihresgleichen aus den Skizzenbüchern heraussortiert hat. Spuren verwischen. Verdeckt bleiben. Abtauchen, ganz Ihre Methode.« Hoftaller saß hinter leerem Becher, mochte aber restlichen Vanillegeschmack nachkosten. Immer wieder meinte er, sich mit einer neuen Papierserviette den Mund wischen zu müssen. Als Fonty nachhakte und ihm die Opfer des Leipziger HerweghClubs in Erinnerung rief – »Haben nicht Sie dafür gesorgt, daß Hermann Jellinek und Robert Blum später füsiliert wurden?« –, täuschte er mit dem Strohhalm Reste von Milchshake vor und rief schließlich: »Leer! Absolut leer! Aber Sie irren sich, Fonty, übertreiben maßlos. Bin kein Bluthund. Ist mir einzig um Sicherheit gegangen. Mein Biograph bezeugt das. Die Politik haben andere gemacht, damals wie heute. War oft genug ne Politik, die uns mißfiel, ob unter Manteuffel oder während
Weitere Kostenlose Bücher