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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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mußte es reichen. Und inmitten der Händler und wechselnden Kunden stand im Wintermantel, mit Hut, Shawl und Stock ein genügsamer Beobachter. Fonty wurzelte reglos im immer neu belebten Zahlungsverkehr und hatte sein Vergnügen an dieser für ihn kostenlosen Revue. Er vermutete Zaubertricks, sah Fingersprache inmitten Stimmengewirr, war Zeuge schnellbeschwichtigten Streits. Das Händlervolk und dessen mobile Kundschaft erstaunte ihn. Als Abgesandte eines Vielvölkerstaates mochten sie Vorboten größeren Andrangs sein. Fremdländisch wurde der schwankende Kurs der blechernen Ausverkaufswährung betont, in wechselnder Stimmlage, hier flüsternd, dort mit lautem Akzent. Dann wieder herrschte der trockene bis naßforsche Berliner Sprechanismus vor. Aber niemand trat auf, der die Bahnhofshallen zum Tempel erklärt und geräumt hätte. Außer der Deutschmark waren amerikanische Dollar und Schwedenkronen gefragt. Gegen Pfennigbeträge wurde umgerubelt. Fonty sah, wie schlanke und dicke Finger gleich flink gebündelte Scheine abzählten. Überall waren Taschenrechner in Gebrauch. Jemand trug einen Hut, an dessen Krempe drei Scheine fremder Währung hingen, durch Wäscheklammern gesichert. Er sah, wie Plastikbeutel, Rucksäcke und neuglänzende Diplomatenkoffer prall gefüllt ihre Besitzer wechselten, einige mehrmals, als folgten sie den Regeln eines allseits tolerierten Rituals. Da wurde er rücklings angesprochen. »Ihre jungen Freunde warten nun schon ne geschlagene Stunde. Schwer enttäuscht sind sie, bitter
enttäuscht.«
»Kann sich nur um ungeladene Gäste handeln.« »Sollte ne Überraschung werden …«
»Also wenn schon gefeiert wird, dann bitte nach
Pläsier.«
»Und wo? Etwa auf dieser Stehparty, die in
Nullkommanix durch ne Razzia beendet werden kann?« »Wäre ich bei Kasse, wüßte ich, wo.« Zur Einladung
genötigt, tauschte der Gastgeber beim nächststehenden
Anbieter etliche Scheine Ost gegen rund fünfzig Mark
West. Doch erst auf dem gleichfalls betriebsamen
Vorplatz des Bahnhofs nannte Fonty das Lokal seiner
Wahl: Nicht auf dem Kurfürstendamm oder am SavignyPlatz, ganz nahbei, in Nachbarschaft zum Elefantenhaus
des Zoologischen Gartens, dem Bahnhof gegenüber, sollte
in einem Lokal, das zwischen einer Radiohandlung und
einem Tanzcafé mit Leuchtschrift warb, des Unsterblichen
und des Nachgeborenen runder Geburtstag gefeiert
werden: »Glaube zwar immer noch nicht, daß meine
siebzig Anlaß genug sind, doch hundertsiebzig machen
was her. Erwarten Sie aber bloß nicht, daß ich dabei ein
feierliches Gesicht schneide.«
Das also verstand Fonty unter »annähernd schottisch«.
Bei McDonald’s lief der übliche Betrieb. Dennoch fanden
sie dem langen Tresen und den sechs Kassen schräg
gegenüber einen Zweiertisch, von dem aus Blicke auf
anschließende Räume möglich blieben. Sie belegten die Stühle mit ihren Hüten, Fonty den seinen zusätzlich mit dem Stock. Nie ließ Hoftaller von seiner Aktentasche. Vor Kasse fünf stellten sie sich an und mußten schnell zum Entschluß kommen, denn der fragende Blick der Kassiererin, die, wie das gesamte Personal von McDonald’s, unter grüner Schirmmütze einen grünen Schlips zum grünweißen Hemd trug und – laut Namensschild links überm Herzen – Sarah Picht hieß,
verlangte Bestellung, sofort.
Nach Blick auf das gut leserliche und mit Preisen
ausgewiesene Angebot entschied sich Fonty, dem der
Super Royal TS für 5 Mark 95 West zu teuer war, für
einen Cheeseburger und eine Portion Chicken McNuggets.
Hoftaller schwankte zwischen dem Evergreen Menue –
Hamburger Royal TS, mittlere Portion Pommes frites und
mittelgroßes Erfrischungsgetränk, alles für nur 7 Mark 75
– und einem bloßen McRib, zog dann aber den
doppelstöckigen Hamburger namens BigMäc vor, dazu
Milchshake mit Erdbeergeschmack; Fonty wünschte einen
Pappbecher Coca-Cola. So sicher traf er Entscheidungen,
als sei McDonald’s schon immer sein Stammlokal
gewesen. Er riet Hoftaller, der schließlich für beide zahlte,
zu einer zusätzlichen Bestellung: Pommes frites mit
Senfsoße. Ihm stand, als jedem sein Tablett über den
Tresen geschoben wurde, zweierlei Soße zu – eine hieß
Barbecue –, passend zu den Chicken McNuggets. Sarah
Picht lächelte der nachrückenden Kundschaft entgegen.
Dann saßen sie, und jeder mampfte für sich. Hatte der eine
Mühe mit dem BigMäc, tunkte der andere seine Chicken
McNuggets wie geübt mal in die eine, mal in die andere
Soßenschale. Von den Pommes frites

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