Ein weites Feld
bekannt vorgekommen sein. Eine seiner Kräuterhexen, etwa die Buschen aus dem »Stechlin« oder Mutter Jeschke aus »Unterm Birnbaum«. Nein, wir tippen auf Hoppenmarieken aus »Vor dem Sturm«. Die hätte so zwinkern können.
Hoftaller zog ihn zum Ausgang: »Nun aber los, Fonty. Von McDonald’s haben wir mehr als genug.«
Draußen wehte ein böiger Wind. Bis zum gegenüberliegenden Bahnhof war es nicht weit. Indem sie gingen, wurden sie wieder zum Paar. Beide Mäntel miteinander verwebt. Von hinten gesehen, gaben sie ein einträchtiges Bild ab. Und übereinstimmend lehnten sie sich gegen den Wind aus Nordwest.
3 Wie von Liebermanns Hand
Wie sahen sie aus? Bisher nur Schattenrisse: die Mäntel, zwei Hüte, der eine hoch und gedellt, der andere flach. Mit einem Einzelbild zu beginnen heißt, vorläufig auf Hoftaller und dessen Aussehen zu verzichten, denn der sah nach nichts oder beliebig aus; Fonty hingegen prägte sich ein, weil sein Charakterkopf das Konterfei einer namhaften Person zu sein versprach. So sehr ähnelte er, daß man vermuten konnte: er ist es; wenn Unsterblichkeit – oder anders gesagt, das ideelle Fortleben nach dem Tod – ein beschreibbares Aussehen hat, gaben seine Gesichtszüge im Profil wie frontal den Unsterblichen wieder. Ob in der S-Bahn oder Unter den Linden, auf dem Gendarmenmarkt oder im Getriebe der Friedrichstraße, man blickte sich nach ihm um. Passanten stutzten, zögerten. Man hätte den Hut ziehen mögen, so vorgestrig wirkte er. Einige Mitarbeiter des Archivs, denen Fonty seit den fünfziger Jahren bekannt war, behaupten noch heute, er sei jederzeit als Neuauflage in Erscheinung getreten. Aber erst im Jahr, als die Mauer fiel, und seitdem er uns allen als Redner auf dem Alexanderplatz ins Blickfeld gerückt worden war, näherte sich sein Aussehen der bekannten Lithographie von Max Liebermann aus dem Jahr 1896, die nach einigen Kreidezeichnungen entstanden ist, auf denen besonders Nase und Augen betont sind; doch wurde die Länge des leicht gebogenen Nasenrückens schon auf einer relativ frühen Bleistiftzeichnung bewiesen, die uns den Fünfunddreißigjährigen überliefert. Zwischen den Englandreisen hat ihn Hugo von Blomberg, ein Tunnelfreund, skizziert. Das geschah kurz nach dem Tod seines dritten Sohnes. An Theodor Storm, der sich aus dem dänisch besetzten Schleswig nach Preußen geflüchtet hatte, ohne in Potsdam seines Exils froh zu werden, schrieb er über das verlorene Söhnchen: »Außer Vater und Mutter wohnte ein besoffener Leichenkutscher und die untergehende Sonne dem Begräbnis bei … Mit der spätbiedermeierlichen Blomberg-Skizze, die einen stutzerhaft gekleideten und modisch frisierten jungen Mann vorstellt, wird die Aussage älterer Archivmitarbeiter bestätigt, nach der Fonty in den fünfziger Jahren langmähnig und mit zum Backenbart tendierenden Koteletten als Reisender für den Kulturbund aufgetreten sein soll und besonders bei Zuhörerinnen Eindruck hinterlassen haben muß; eine dieser mittlerweile reifen Damen schwärmt noch immer vom »zwar spätbürgerlichen, doch zugleich verführerischen Glanz« seiner Auftritte in Oranienburg oder Rheinsberg, wo immer sie ihn erlebt hat: »Wirklich, er verzauberte uns.« Nichts dergleichen bietet jene Liebermann-Lithographie, die mit der Zeitschrift »Pan« verbreitet wurde. Wenn Thomas Mann als noch junger, doch schon seit den »Buddenbrooks« erfolgreicher Schriftsteller in seinem um 1910 geschriebenen Essay das »blasse, kränklichschwärmerische und ein bißchen fade Antlitz von dazumal« mit dem »prachtvollen, fest, gütig und fröhlich dreinschauenden Greisenhaupt« vergleicht und überdies sehen will, daß »um dessen zahnlosen, weiß überbuschten Mund ein Lächeln rationalistischer Heiterkeit liegt«, wird auch er die Blomberg-Skizze mit dem Liebermann-Blatt verglichen haben, auf dem das annähernd weißergraute Haar willentlich ungekämmt über Mund und den Ohren fusselt und auf dem Schädel spärlich ausfällt. Der gleiche Mangel machte Fonty eine hohe Stirn. Auch er war über die Ohren hinweg und bis in den Nacken vollhaarig geblieben. Auch er liebte es, die silbrigen Strähnen unordentlich über den Kragen fallen zu lassen. Und seine Koteletten wucherten gekräuselt bis flaumig an den Ohrläppchen vorbei. Nicht etwa wilhelminisch gezwirbelt, kaum gebürstet, als unbeschnittener Wildwuchs hing ihm der Schnauzbart über die Oberlippe hinweg und verdeckte mit den Mundwinkeln deren häufiges, weil
Weitere Kostenlose Bücher