Ein weites Feld
nahmen beide. Noch
aßen sie wortlos und blickten, obgleich einander
gegenüber sitzend, aneinander vorbei. Cola und
Milchshake wurden weniger. Natürlich waren die Strohhalme nicht aus Stroh, doch das Fleisch versprach, hundertprozentig vom Rind, die panierten Nuggets vom Huhn zu sein. Weil sie nicht wußten, wohin damit, hatten beide ihre Hüte auf Fontys Spazier- oder Wanderstock hing an der Stuhllehne. Sie hörten sich und andere essen. Laufkundschaft, die bestellte und mitnahm, viel jugendliches Publikum, aber auch Devisenhändler von gegenüber belebten den Betrieb; doch waren die beiden nicht die einzigen älteren Semester oder Senioren, wie man im Westen sagte. Hier und da standen ziemlich abgetakelte alte Männer und Frauen aus dem Bahnhofsmilieu, die sich bei McDonald’s aufwärmten; und manchmal reichte es sogar für eine Portion Pommes frites. Bei soviel Zulauf hätte Lärm herrschen können, aber in allen Räumen ging es gedämpft zu. Fonty wartete nicht, bis er mit seinem Cheeseburger und den Chicken McNuggets fertig war. Zwischen Biß und Biß, kauend kommentierte er das Lokal: die Messingleuchter über der Theke, die abgeschirmte Schnellküche, für deren Angebot Preistafeln sprachen – ein FischMäc für drei Mark dreißig. Und auf das überall, auch an der grünen Schirmmütze der Kassiererin Sarah Picht doppelbäuchig werbende Firmenzeichen wies er hin, um sich sogleich von jenem westlichen, nunmehr die Welt erobernden Namen, dessen Signum als Heilszeichen galt, davon- und zurückführen zu
lassen.
Von der ihm aufgehalsten Zeitlast beschwert, begann
Fonty bei den historischen MacDonalds und deren
Todfeinden, den Campbells. Er erzählte, als wäre er
dabeigewesen, von einem frostigen Februarmorgen des
Jahres 1692, als über hundert Kiltträger des CampbellClans über die noch schlafdumpfen MacDonalds
hergefallen waren und den Clan nahezu ausgerottet hatten.
Und vom Massaker von Glencoe kam er auf die gegenwärtigen Wirtschaftsimperien der beiden schottischen Großfamilien, deren Namen sich global eingeprägt hatten: »Werden es nicht glauben wollen, Hoftaller. In aller Welt zerstreut leben heute grob geschätzt dreizehn Millionen Campbells und immerhin gut
drei Millionen MacDonalds. Da staunen selbst Sie …« Und schon war er, vom Stammsitz der Fast-Food-Firma
Schloß Armedale ausgehend, unterwegs: Wanderungen
jenseits des Tweed ins schottische Hochmoor. Bei Nebel
zum Hexentreff. Maria Stuarts Spuren hinterdrein, schlug
er Exkursionen von Burgruine zu Burgruine vor. Jeden
Clan konnte er beim Namen nennen, jedes Kiltkaro war
ihm bis in Farbnuancen vor Augen. Fonty hatte nur noch
Schottland im Sinn. Deshalb geriet er, nachdem die letzten
Hähnchenhappen verputzt waren und er mit einem Rest
Cola nachgespült hatte, über windgepeitschte Heide und
entlang blauschwarz tiefgründigen Wasserlöchern in das
Strophengefälle jener schier endlosen Balladen, die der
Unsterbliche zum Gutteil im Tunnel über der Spree den
gleichfalls dichtenden Leutnants und Assessoren, seinen
Tunnelbrüdern, vorgelesen hatte, Verse, die Fonty als
»meine ein wenig verstaubten Balladen« wertete; und
manchmal sprach er von »unseren Balladen« wie von
einem Gemeinschaftswerk. Nahtlos schloß an den
mörderischen Streit zwischen den MacDonalds und den
Campbells der Dauerzwist zwischen den Douglasbrüdern
und König Jakob an. Als suchte er Anlauf, zitierte er
anfangs aus den Jakobitenliedern – »Die Duncans
kommen, die Donalds kommen …« –, stieg dann in den
Romanzenzyklus um Maria Stuart ein – »Schloß Holyrood
ist öd und still, der Nachtwind nur durchpfeift es schrill
…« –, irrte anschließend durch den Zyklus von der
schönen Rosamunde -»Schloß Woodstock ist ein alter Bau
aus König Alfreds Tagen …« –, war plötzlich bei den Schustern von Selkirk, dann wieder in Melrose-Abbey, um noch einmal die Phersons, die Kenzies, die Leans und Menzies aus den Jakobitenliedern herbeizuzitieren – »Und Jack und Tom und Bobby kommen und haben die blaue Blume genommen …« Dann aber, nachdem ihn die schöne Maid von Inverneß ins blutige Drummossie-Moor geführt und Graf Bothwell den König erschlagen hatte, stand Fonty plötzlich, wie aufgerufen. Er nahm Haltung an und den Hut ab, hielt ihn seitlich, schob mit linker Hand die Schachteln, Soßenschälchen und den Pappbecher samt Strohhalm beiseite, war bei Atem und trug mit heller Stimme, die, obgleich sie manchmal zitterte, jegliches Geräusch übertrumpfte, seinen
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