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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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der Herrschaft unserer führenden Genossen. Besonders die Schlußphase: kopflos. Was haben wir nicht alles versucht, um unseren Arbeiter- und Bauern-Staat vor drohendem Zerfall zu bewahren. Das nun den Klassenfeind destabilisierende Ergebnis unserer Bemühungen haben wir noch kürzlich besichtigt. Sowas gefällt Ihnen natürlich: Mauerspechte! Wie uns damals eure Kleintalentebewahranstalt, der Tunnel über der Spree, gefallen hat. Namhafte Dichter, etwa Storm oder Keller, wollten damit nichts zu tun haben. War durchweg harmlos, was an ›Spänen‹, wie dort Gedichte genannt wurden, zu Gehör kam. Selbst Ihr anfänglicher Herwegh-Verschnitt mit sozialkritischem Tremolo und vormärzlichem Revoluzzergehabe ist kaum einen Bericht wert gewesen. Im Grunde waren Sie da gut aufgehoben: ganz der Kunst hingegeben und politisch entschärft. Erinnert mich an die Prenzlberger Szene. Auch dieser Poetentreff hat sich als nützliche Bewahr- und Vorbeugeanstalt erwiesen, und das ohne Adel und Preußentum, vielmehr als typisches Produkt unserer klassenlosen Gesellschaft.« Fonty schwieg. Außer altersbedingter Müdigkeit war ihm nichts anzusehen. Auch Hoftaller schwieg jetzt. Ihm war gleichfalls nichts anzusehen, außer seiner weit über hundertjährigen Aufmerksamkeit. Und da beide dem Jahrgang neunzehn angehörten, hatte Fonty noch kürzlich Hoftaller zu seinem Siebzigsten ein Geschenk präsentiert, das schon Tallhovers Biograph als geeignet nachgewiesen und somit in Vorschlag gebracht hatte: Dem Geburtstagskind gefiel das vielteilige Puzzle, ein original Westprodukt, dessen Motiv eine Großtankstelle mit allem Drum und Dran war; um ein Jahrhundert zurückentwickelt hätte es in zusammengesetztem Zustand durchaus einen preußischen Exerzierplatz, das Tempelhofer Feld, abbilden können, gleichfalls mit allem Drum und Dran, so zeitlos war Hoftaller am 23. März siebzig geworden. Verspätet hatte Fonty das Tankstellen-Puzzle vom damals üblichen Begrüßungsgeld in der Spielzeugabteilung des KaDeWe gekauft und seinem betagten Tagundnachtschatten
nachgeliefert.
Weil sie nunmehr einander wortlos und trocken
gegenübersaßen, holte Hoftaller eine dritte Cola und
abermals einen Milchshake; dieser versprach
Schokoladengeschmack. Sie hoben spaßeshalber die
Pappbecher und nahmen Haltung an. Fonty sagte:
»Furchtbar richtig! Wir wollten ja anstoßen. selbst wenn
mir noch immer nicht nach Feiern ist. Welcher Siebzigste
soll es denn sein?«
Der gegenwärtige Geburtstag hatte seinen Höhepunkt
hinter sich. Eher beiläufig nahm Fonty Abstand: »Heut
morgen, das längere Frühstück mit Frau und Tochter bei
Rotkäppchensekt, war grad genug bei meinem fehlenden
Sinn für Feierlichkeit. Außerdem kränkelt Mete noch
immer, trotz Kur in Thale …« Erst Hoftallers
Brückenschlag – »Na, feiern wir doch den großen Auftrieb
vom 4. Januar, als die Vossische Zeitung zur Nachfeier
eingeladen hatte« – erlaubte ihnen prompten Kostüm- und
Kulissenwechsel. McDonald’s und dessen Kundschaft
wurden unscharf, rückten weit weg. Immerhin war das
Ereignis durch den kaiserlichen Hoftraiteur ausgerichtet worden. Auf den einladenden Billets standen die Literarische Gesellschaft und des Unsterblichen Freunde – Brahm, Stephany, Schlenther – vermerkt: Als langjährige Existenzstütze des Theaterkritikers im Königlichen Schauspielhaus – Eckplatz Nr. 23 – wollte sich die Vossische spendabel zeigen. Ganz Berlin war geladen. Doch Fonty bemängelte den Aufwand: Für ihn sei das ein fragliches Glück gewesen. Die Zahl seiner Gegner habe sich verdoppelt, verdreifacht. Die über vierhundert Geladenen hätten sich auf das Vertilgen teurer Speisen und noch viel teurerer Weine konzentriert. Wohin man blickte: zur Schau gestellte Ordensbrüste und Schmuckkollektionen. Über allem habe auf- und abschwellender Lärm, gemischt aus Geschnatter und Renommiergehabe, gelegen. Kolossal ledern das Ganze und wichtigtuerisch. »Nichts ridiküler als Empfänge!« Und als gegen Schluß der Massenabfütterung sein »Archibald Douglas« rezitiert worden sei, habe die Mehrzahl der Gäste Unkenntnis durch vorzeitigen Applaus
bekundet. Man hätte in den Boden sinken mögen. »Jedenfalls war vorhin noch, was das Publikum betrifft,
McDonald’s besser als Englisches Haus damals!« rief
Fonty. »Aber was rede ich. Eure hochwohlgeborene
Zuhörigkeit und untertänigst spitzelnde Durchlauchtigkeit
waren ja dabei, ob geladen oder ungeladen. Gnädigst einen
Schatten werfend, hat der Herr

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