Ein weites Feld
dabei, weil Emmi uns später die Bahnfahrt miterleben ließ: »Ziemlich langweilig die Landschaft, immer dasselbe. War aber trotzdem gut, daß man rauskam endlich. Die Hitze in der Stadt, immer mehr Autos, und was man jetzt überall von Ozon redet. Außerdem hat die Hochzeit meinen Wuttke, aber mich och ziemlich mitgenommen. Das ganze Drum und Dran, und daß unser Friedel bei uns dann kein einziges herzliches Wort gefunden hat. Nur immer auf uns runtergeguckt. War auf der Hochzeit schon so. Richtig hochnäsig sind die alle. Zum Schluß hätt es beinah noch Krach beim Bezahlen gegeben. Aber das hat sich, wie Martha sagt, Vater nich nehmen lassen. Wer sind wir denn, daß man uns dauernd wie arme Schlucker behandelt. Na, dieser Grundmann. Mein Gott, wie der redet! Als müßt man uns alles dreimal erklären. Dabei freundlich. Sagt zu mir gnädige Frau und hochverehrte Emmi. Kann einfach über alles reden und weiß sogar Dinge, die er nich wissen kann. Warum manches schlimm und anderes nich so schlimm, und wie das wirklich war beim Kulturbund, nämlich manchmal, wie Martha immer gesagt hat, von Weltniveau, und warum sich mein Wuttke dafür so angestrengt und verdient gemacht hat, daß sie ihn paarmal sogar mit ner Ehrennadel in Silber ausgezeichnet haben. Doch dieser Grundmann sagt immer nur ›Verstehe‹, och wenn er rein nischt kapiert hat und am liebsten hören will, daß wir von früh bis spät gelitten und uns wie im KZ gefühlt haben. Und seine Tochter, die ganz schön keß is, redet och über alles weg. Erklärt meinem Wuttke, der ja nie ins westliche Ausland gedurft hat, wo überall sie gewesen is: Klar doch, Paris, Rom und jede Menge griechische Inseln. Und paarmal London, einmal sogar bis Schottland rauf. Und stellen Sie sich vor: Sogar auf Ball is das junge Ding gewesen, auf Ball! Mein Wuttke hat nur gestaunt, dann aber prompt sein Gedicht, na, das von den balinesischen Frauen, aufgesagt, alle Strophen. Aber hinterher, als die alle und die Adlige och endlich weg waren, hat er gesagt: ›Ganz nett die Leute aus dem Westen, aber kolossal anstrengend.‹ Und als wir dann fuhren, haben wir erst mal gelacht alle beide, weil mein Wuttke nun och ›gnädige Frau‹ und noch so paar komische Sachen zu mir gesagt hat, die die Bunsensche von sich gegeben hat: ›Recht anständig, der Wein hier …‹ oder: ›Richtig niedlich, diese Frau Scherwinski. So natürlich. Dergleichen gibt es bei uns im Westen schon lange nicht mehr …‹ jedenfalls haben wir unsern Spaß gehabt. War doch ne schöne Hochzeit! Och wenn mir dieser Grundmann mit seinen zehn Großbaustellen und seinen Witzen über unsere Plattenbaukästen ziemlich auffen Wecker gegangen is, als wenn die drüben nich och Mist gebaut hätten. Konnt ma ja sehn von weitem schon: Britz, Buckow und wo noch überall. Und wie die Potsdamer Straße aussieht! Nee, wissense, nee! Mein Wuttke hat zwar über unsere Martha gesagt, die wird ihren Grundmann schon zurechtstauchen, wo sie nu katholisch is und mitreden kann, aber besorgt war er trotzdem. ›Was die da in Schwerin groß aufziehen wollen, diese Grundstückmakelei, und was er sonst noch vorhat, Industriepark und Erholungspark in ökonomischökologischer Symbiose, gefällt mir gar nicht. Alles Mumpitz! Erinnert mich kolossal an anno einundsiebzig, als mit Frankreichs Golddukaten die preußische Renommiersucht hochgepäppelt wurde. Gründerjahre nannte man das. Alles Fassade und hinten raus Mietskaserne. Skandale und Pleiten. Kann man in der Vossischen nachlesen: der Börsenkrach anno dreiundsiebzig. War eine einzige Baustelle, die Stadt. Und überall Grundmanns, wenn sie auch Treibel hießen, Kommerzienrat waren und in Berliner Blau machten …‹ Sie wissen ja, wie mein Wuttke redet, wenn er auf sein Einundalles kommt. Was der gesagt hat, paßt immer. Und manchmal paßt es sogar. Sie vom Archiv haben ja mitgekriegt, wie ihm sein oller Petöfy in die Tischrede gerutscht ist. ›Entsage!‹ Und das auf ner Hochzeit. Aber auf der Bahnfahrt waren bis Pasewalk nur die Treibels dran. Was hab ich gelacht, als mir mein Wuttke das berlinische und hamburgische Getue vorgespielt hat: ›Was ist denn wohl schöner, die Alster bei der Uhlenhorst oder die Spree bei Treptow?‹ Und die aufgeblasene Frau Treibel hat er flöten lassen: ›Dieser furchtbare Vogelsang hat wie ein Alp auf mir gelegen …‹ Darin ist er groß. Und immer so direkt, als ob er gestern noch mit nein Bleistift das alles persönlich gekritzelt und mir zum
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