Ein weites Feld
Wolfsohn und die frühen Briefe an die Verlobte; bald nach Emilies Tod folgte die Familie ihrem Wunsch und hat alle verbrannt. Hinzu kommt der Geiz der preußischen Kulturbehörden; denn als die Erben anno 35 glaubten, einen Teil des Nachlasses versteigern zu müssen, gingen bereits Kostbarkeiten unübersichtlich in fremde Hände über, zum Beispiel Entwürfe; ein für die Forschung besonders bedauerlicher Verlust, denn viele seiner Briefe, selbst solche, die sich wie spontane Niederschrift lesen und reich an augenblicklichen Einfällen sind, wurden bis ins launige Detail erarbeitet, sogar jene, die von politischem Zorn diktiert zu sein scheinen, etwa sein emotionaler Ausbruch, der am
6. Mai 1895, dem Geburtstag jenes Kronprinzen zu Papier kam, der gottlob nie Kaiser werden sollte: »Mein Haß gegen alles, was die neue Zeit aufhält, ist in einem beständigen Wachsen, und die Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit, daß dem Sieg des Neuen eine furchtbare Schlacht voraufgehen muß, kann mich nicht abhalten, diesen Sieg des Neuen zu wünschen …« Als Kommentar dazu steht an anderer Stelle: »Habe oft hart am Rande des Hochverrats geplaudert …« Einer seiner Biographen, Hans-Heinrich Reuter, der unserem Archiv über Jahrzehnte hinweg auf recht eigenwillige Weise verbunden gewesen ist, hat diese und andere Briefstellen mit Bedacht in den Vordergrund gerückt und aus deren Radikalität die Existenz des ersten deutschen Arbeiter- und Bauern-Staates als historisch konsequent abgeleitet, ohne deutlicher als notwendig zu werden; es ging ihm wohl darum, das kulturelle Erbe zu festigen. Ähnlich wie der Kulturbundreisende Wuttke, der seine Vorträge nie ohne Beschwörung der »kulturellen Errungenschaften« abschloß, hat sich Reuter, der übrigens freundschaftlich mit Fonty in Korrespondenz stand, eine Brücke zurück ins neunzehnte Jahrhundert gezimmert, über die beide – und sei es mit listig ausgewählten Briefzitaten – den Fortschritt und den Humanismus, mithin den »Sieg des Neuen« paradieren ließen. Und Reuter war es, der unserem Epistolographen mit gewagtem Satz nachsagte: »Er würde zur großen deutschen Literatur gehören, auch wenn von ihm nichts überliefert wäre als seine Briefe.« Über Storm, Keller und Hebbel stellt er ihn und spricht von »europäischen Briefen«, die an Voltaire und Diderot, an Lessing oder Swift und Scott zu messen seien. Wir vom Archiv stimmen dem gerne zu, indem wir, mit Reuter, den zur Höchstform entwickelten Plauderstil betonen, zum Beispiel dort, wo er am 12. Mai 1884 aus strenger Arbeitsklausur in Hankels Ablage an seine Frau schreibt und beiläufig die Qualität der Tinte, »lauter kleine Klümpchen«, beklagt: »… Wovon man doch alles abhängig ist? Die ganze Schreiblust ist hin. Mein Zimmer ist reizend, und der Blick über den Vorgarten fort auf den starkbewegten Strom und die Heide dahinter erquickt mich. Die Luft ist ozonreicher als nötig und macht mich fiebrig; es weht eine starke Ostbrise, dennoch fühle ich, daß meine Nerven sich dabei erholen. Nur die Tinte! Geht das so fort, so können all the perfumes of Arabia mich nicht wieder gesund machen. Auch vor der Nacht habe ich ein ahnungsvolles Grauen – es sieht alles sehr mäusrig aus …« Und ähnlich spontan wirkend verplauderte er politische Ärgernisse, etwa, wenn er in einem Brief an Mete den Konflikt des Kaisers mit Bismarck, den er als »Mogelant« sieht, in eine Anekdote kleidet und zum Schluß befindet: »Er hat die größte Ähnlichkeit mit dem Schillerschen Wallenstein (der historische war anders): Genie, Staatsretter und sentimentaler Hochverräter. Immer ich, ich, und wenn die Geschichte nicht mehr weitergeht, Klage über Undank und norddeutsche Sentimentalitätsträne …« Dieses Urteil übernahm Fonty in einem Brief, gerichtet an Martha Grundmann, geborene Wuttke; denn kaum auf Hiddensee angekommen, verspürte er, während Emmi die Koffer auspackte, unwiderstehliche Schreiblaune; außerdem stieß ihn aus einer liegengebliebenen Zeitung politischer Ärger an: »Sperre ja selten mein Ohr in Richtung Bonn auf, doch wenn sich der gegenwärtige Kanzler der Deutschen in Sachen Einheit überhebt und als regierende Masse in die Nähe Bismarcks rücken läßt, muß diesem Vergleich insoweit zugestimmt werden, als ich in beiden kolossale Mogelanten sehe …«
Weiter steht in dem Brief an seine Tochter, die er als »Meine Mete« anredet: »Die Buchen vor unserem Quartier stehen immer noch unbeschadet.
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