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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Abtippen vorgelegt hat. Aber gelacht hab ich schon. Nur, daß er diese Corinna Schmidt aussein Roman, die ja an sich ne flotte Person is, andauernd mit unserer Martha verglich, fand ich wieder mal ziemlich daneben, weil er damit alles noch schlimmer macht. Immerzu: Corinna hin, Mete her. Dabei soll diese Mete, die ja der Liebling von seinem Einundalles gewesen is, zum Schluß Selbstmord gemacht haben, vom Balkon runter, das arme Ding, weil ihr Mann viel älter als sie war und ihr einfach weggestorben is und weil sie sowieso nervenkrank war, ähnlich wie unsere Martha … Jedenfalls hab ich gesagt: ›Was soll nun werden, Wuttke! (Hab aber eigentlich was ganz anderes, nämlich die Einheit gemeint, von der alle geredet haben und die für uns dieser Krause ausgehandelt hat. Aber er hat geglaubt, ich hätt nach der Ehe mit Grundmann gefragt. ›Was soll schon werden‹, hat er gesagt, ›wird sich hinziehen wie jede Ehe und schlecht und recht sein. Hatte vor, meine Tischrede, die ja wohl bißchen daneben war, auf den hinter jeder Ecke lauernden Ehebruch zu bringen. Wollte mit ’L’Adultera’ anfangen und den Faden von der couragierten Melanie über die kränkelnde Cécile bis hin zur armen Effi spinnen, habe dann aber auf deine Empfindlichkeit, meine liebe Emilie, Rücksicht genommen und meiner frisch konvertierten Tochter etwaige Wünsche nach katholischem Glück mit dem protestantischen ’Entsage!’ wegzublasen versucht. Doch zurück zu deiner Frage. Was soll schon werden? Ehekrise, Ehekräche, Ehebruch! Ein immergrünes Thema. Werde schon morgen Einschlägiges an unsere Mete schreiben. Werde ihr raten, das Glaubensbekenntnis ihres gar nicht so üblen Pfaffen zu beherzigen und tapfer zu zweifeln. Bleibe dabei: Zweifel ist immer nichtig!‹ Und dann hat mein Wuttke doch noch gemerkt, daß ich nach ganz was anderem gefragt hab. ›Was nun werden soll? Falls du das Einigvaterland gemeint hast, keine Ahnung. Da mußt du, sobald wir zurück sind, meinen altvertrauten Kumpan fragen, der wußte schon immer im voraus, wie es schiefgehen würde, jedesmal. Der hat, wie man heute sagt, den Durchblick und ist kolossal auf dem laufenden. Ich hab schon zu oft danebengetippt, aber Hoftaller, der hat den richtigen Riecher. Schon als Tallhover, als der Eisenbahnzug quer durch Deutschland mit Lenin drin …‹ Ich hab ihn nur noch reden lassen und nischt mehr gesagt, nur aussem Fenster geguckt und mich ziemlich gelangweilt. Denn das kannt ich schon alles. Nee, nich nur die Landschaft draußen, auch die Geschichten von früher. Als wir in Pasewalk hielten, hab ich ihn kurz dran erinnert, daß er hier sowas wie Kreissekretär hätt werden können, aber da hätten Sie meinen Wuttke mal hören sollen: ›Pasewalk – nie! Hier hat doch dieser österreichische Gefreite im Lazarett gelegen und beschlossen, Politiker zu werden. Hier hat angefangen, was noch lang nicht zu Ende ist. Selbst mein altvertrauter Kumpan konnte mich nicht überreden. Pasewalk? Niemals, hab ich gesagt. Hat dann auch nicht mehr gedrängelt, hat eingesehen sogar …‹ Da hab ich nur lachen gekonnt: ›Nee, Wuttke, der kennt kein Einsehen nich. Der hat doch schon wieder überall seine Finger drin.‹ Und daß er och noch auf Martha ihre Hochzeit gekommen is-, war ganz nach Plan. Steht plötzlich in Schlips und Anzug da, hat ein Päckchen mit Schleife drum, sagt: ›Für die Genossin Braut‹ und feixt dabei, als wüßt er mehr, als man von sich selber weiß. Nen richtigen Schauer hab ich gekriegt, als er auf einmal bei Friedel stand und auf den eingequasselt hat, als wär nie was Schlimmes gewesen … Als hätt er nich unsre Jungs und och Martha bespitzelt, als die sich mit ihrem Grundmann im Hotel heimlich … Jedenfalls war, als wir in Stralsund ankamen, immer noch schönes Wetter, doch nich so heiß wie in Berlin, weil ja vom Wasser ein Lüftchen ging. War richtig zum Aufatmen …«
    Grob geschätzt sind es über siebentausend Briefe gewesen, die gesammelt wurden und zum Teil wieder verlorengingen; denn an die tausend Handschriften aus seiner Feder gehören zu den Verlusten, die uns der letzte Krieg brachte. Gelegentlich taucht die eine oder andere Originalschrift wieder auf und erzielt auf Auktionen stolze Preise, doch können wir nur selten mitbieten. Glücklicherweise fanden sich in einem Tresor – natürlich in einem jüdischen – einige Tagebücher, darunter das Londoner, das mehr als nur Arbeitskladde ist. Anderes bleibt weg: so die Korrespondenz mit

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