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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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und auch sonst ist auf der Insel von kommender Einheit nichts zu bemerken, es sei denn, daß die Zigarettenreklame am Klosterschen Bollwerk -›Go West!‹ -allgemein richtungweisend sein will; was nun tatsächlich für meinen aus bester Laune gestifteten Brief zutrifft, den ich, wie verabredet, nach Stege auf Mon schicke, damit Du ihn postlagernd vorfindest. Inzwischen werdet Ihr Kopenhagen, die Glyptothek, Thorwaldsens kalte Marmorpracht und, im Gegensatz dazu, das äußerst lebendige Tivoli abgehakt haben. Grundmann ist sicher mehr an Baulichkeiten interessiert, Dich jedoch vermute ich auf den Spuren des so liebenswürdigen wie labilen Grafen Holk und der feuerzüngigen Ebba Rosenberg, die ja keine Rosenberg-Gruszczynski, sondern eine Enkelin des schwedisch-königlichen Leibjuden Meyer-Rosenberg gewesen ist und alle Vor- und Nachteile des jüdischen an sich hatte, weshalb ihr der arme Holk nicht gewachsen war, zumal ihn beiläufig die mit der Geheimpolizei vertrauliche Kapitänstochter Brigitte durch ihr laszives Benehmen verwirrt hat. Jedenfalls bin ich begierig, von Dir zu hören, ob Kopenhagen noch immer ein Sündenpfuhl ist und die Dänen so fidel wie dazumal sind. (Übrigens kam ›Unwiederbringlich‹ auf dänisch unter dem Titel ›Grevinde Holk‹ heraus.) Mama und ich erreichten Stralsund -oder was von der einst Schönen und selbst von Wallenstein nicht Bezwungenen geblieben ist – im guten alten Reichsbahntempo, so daß wir einerseits Eure Hochzeit und deren Gäste verplaudern und andererseits das Motorschiff ›Insel Hiddensee‹ gerade noch rechtzeitig erreichen konnten; zu meiner Zeit setzte man mit dem schmauchenden Dampfer ›Swanti‹ über. Und weil in Eile, haben wir von der Stadt am Strelasund, die uns, trotz einiger Goldzähne, auffallend lückenhaft anlächelte, nur wenig gesehen, denn pünktlich um 14 Uhr 30 legten wir ab. Einige restliche Speicher blieben zurück. Schnell rückte uns Altefähr näher, das schon auf Rügen liegt. Bei prächtigem Wetter und minimalem Seegang genoß Mama die Überfährt vorbei an grünen und roten Bojen und die Sicht auf den Gellen. Mit schwarzen, später schwarzgelben Wimpeln begrüßten uns erste Reusen, auf denen Kormorane saßen. Nach knapp zweistündiger Fahrt legten wir in Neuendorf, bald in Vitte an und folgten dabei der Fahrrinne zwischen Bojen, die den Weg wiesen. Zwischen Vitte und Kloster machte ich Mama auf die im waldigen Hügelland gelegene Lietzenburg aufmerksam, die weniger durch den Bildhauer Oskar Kruse als durch die Puppenmutter Käthe Kruse bekannt ist. Und Immer wieder Kormorane in ständig wechselnden Flugformationen, die uns vor dem Hintergrund der langgestreckten Insel entzückten und bei Mama, die ja eigentlich gegen Seefahrten ist und selbst bei stabilem Wetter Stürme befürchtet, kindliche Freude aufkommen ließen. ›Guck nur, guck nur!‹ rief sie und wollte gar nichts anderes sehen. In Kloster angelandet, stand dann am Bollwerk zwar nicht ein Enkel des alten Gau, den sie, wenn Du Dich an Deinen Inselbesuch mit Zwoidrak erinnerst, ›Schipperöbing‹ genannt haben, doch ziemlich wortkarg karrte uns ein Fischersohn die Koffer im Bollerwagen zum Hauptmannschen Anwesen, ein, wie ich finde, allzu klotziger großbürgerlicher Bau, in dessen Windschatten wir in der Gästewohnung Quartier nahmen, weit genug weg von aller touristischen Neugierde. Übrigens ist es dasselbe Doppelzimmer, in dem ich Anfang der siebziger Jahre ein verregnetes Wochenende überstanden habe, nachdem mein Vortrag ›Literatur und Zensur in Preußen vor und nach dem Wegfall der Sozialistengesetze‹ nur ängstlichen Beifall gefunden hatte, zumal ich mir als Zugabe einen Vergleich zwischen Hauptmanns ›Die Weber‹ und Müllers ›Die Umsiedlerin‹ erlaubte. Während der nachfolgenden Aussprache mit dem Publikum, zu dem einige Inselprominenz gehörte, gab es zwar deutliche Winke mit dem Zaunpfahl, doch scharf geschossen wurde nicht. Die beiden Zimmer sind unverändert schlicht möbliert, mit Kochnische für Mamas Blasentee, blauweiß karierten Gardinen und einem Ledersessel, der von vielen Inselgästen erzählen könnte, unter ihnen illustre, die sich gegenwärtig gewiß ungern an ihre Unsterblichkeitszertifikate für den damals schon kränkelnden Sozialismus erinnern werden. Kann man im Gästebuch nachlesen. Etliche drollig gereimte Ergebenheitsadressen. Fand auch mich rückblätternd mit letzter Eintragung vom Mal einundsiebzig: ›Ein Hauptmann brachte dem

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