Ein weites Feld
Kaiser Verdruß, uns ist ein Müller ’ne harte Nuß.‹ Dies Verslein lesend, möchte ich nunmehr nachtragen, daß mir in beiden Fällen jeweils die jungen und radikalen Ausgaben, nämlich der WeberHauptmann und der Lohndrücker-Müller, vor Augen standen; in späteren Produktionen gewann oft das Pompöse überhand: viel inszeniertes Geschrei und wenig Wolle. Jedenfalls fühlte ich mich, kaum waren die Koffer ausgepackt, sogleich angekommen. Nur Mama fand die Zimmerchen unangemessen und behauptete, es rieche mäuserig. Du weißt, sie redet sich leicht übers Ziel hinaus und hat einen schwarzseherischen Zug, der mich oft reizt, weil ich nun mal nicht aufs Pessimistische abonniert bin. Gehe nicht, wie sie, dem Traurigen nach, befleißige mich vielmehr, alles in jenen Verhältnissen und Prozentsätzen zu belassen, die das Leben selbst seinen Erscheinungen, so auch dem Ehestand gibt. Deshalb hoffe ich, daß Du Deinem Grundmann in der Hedwigskirche weder ein himmelhochjauchzendes noch ein trübsinniges ja gegeben hast. Mama und ich haben die alte Devise, sich nach der Decke zu strecken, erst spät gelernt, nachdem uns das Leben deprimierenden Nachhilfeunterricht erteilt hat. Eine schwere Kunst: gelegentlich durch die Finger gucken und doch ehrlich bleiben; was wir natürlich auch von Deinem Grundmann erwarten, sobald es ihn ankommen wird, nach bauherrlicher Lust mit Mecklenburgs Grund und Boden zu spekulieren und sich überall, laut neuester Redensart, saftige Filetstücke rauszuschneiden. Wie ich am Hochzeitstisch beiläufig hörte, hat er zweifelsohne ein Auge auf Schwerins Schelfstadt geworfen, er sprach von einigen ›hochinteressanten Projekten‹. Nun ja! Man verzapft so gut man kann seine väterliche Weisheit, und schließlich ist doch auch diese belämmert. Warne nur vor allzu großer Happigkeit! Hier gibt man sich übrigens wohltuend freundlich, auch Mama gegenüber. Die Leiterin des Museums erinnert sich meiner Bemühungen um das kulturelle Erbe. Sie scheint mir eine Person zu sein, die sich partout nicht die Butter vom Brot nehmen läßt. Ob allerdings in heutigen Zeiten Haltung bewahrt werden kann, bleibt ungewiß. Viele Gäste hat die Insel nicht. Einige Westler, die begehrlich über die Zäune gucken. Noch immer begegnet man hier jenen von Jugend an halb ansässigen alten Damen mit Bubikopffrisuren und schräg sitzender Baskenmütze. Und selbstverständlich fehlt es nicht an Sachsen, die nach wie vor bemüht bleiben, aller Welt zu beweisen, wie unverwüstlich sie sind. Zum Glück hat Professor Freundlich mit Frau, die leider zu Deiner Hochzeit nicht kommen konnten, in Vitte Quartier bezogen. Ich weiß, er liegt Dir nicht besonders, noch weniger Mama. Mir hingegen ist sein weltläufiger Witz immer Gewinn gewesen. Diese Emigranten – der alte Freundlich ging seinerzeit nach Mexiko haben sich einen weiten Horizont bewahrt. Und als die Freundlichs, anfangs der Vater, später der Sohn, noch beim Kulturbund von Einfluß waren, fand mein Bemühen um das kulturelle Erbe jederzeit ihre Unterstützung. Schließlich bekamen beide Ärger mit der Partei. Doch wie Du weißt, passierte das jedem, der auf sich hielt. Freundlich senior starb darüber. Freundlich junior jedoch, der nun schon auf die Sechzig zugeht, hat den Verlust seiner Parteizugehörigkeit mit noblem Sarkasmus quittiert und meinen im Grund feigen Verbleib beim Kulturbund nicht krummgenommen, sondern gutgeheißen. Sein Rat hieß: ›Weitermachen, Wuttke, schlimmer kann es nicht werden.‹ Und meinen spielerischen Vergleich mit Friedlaender, den ich, von unserem Briefwechsel ausgehend, zum Vortrag ›Wiederholte Freundschaft mit Juristen‹ – umgemünzt habe, hat er mit Vergnügen gehört, als mich die Pirckheimer-Gesellschaft anläßlich seines fünfzigsten Geburtstages als Festredner nach Jena eingeladen hatte. Daß Friedlaender Ärger mit der Armee bekam, nur weil er Jude war, steht übrigens auf dem gleichen Blatt, auf dem Freundlichs Ärger mit der Partei notiert ist; doch zur Zeit bereiten ihm westliche Professoren, die sich anmaßen, seinen wissenschaftlichen Rang zu evaluieren, einigen Kummer. Man will ihn weghaben; man wollte ihn immer schon weghaben. Nun werden Mama und ich einen ersten Inselbummel wagen. Natürlich geht’s zuerst auf den nahen Friedhof, wo ja nicht nur Schluck und Gau liegen, sondern unterm Findling auch er, auf Wunsch begraben: ›Vor Sonnenaufgang‹ …«
Wir müssen dem Biographen Reuter zustimmen, wenn er die Verdienste
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