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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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von Interesse und wie außerhalb seiner besonderen Anteilnahme. Später kam es zu kurzem Wortwechsel in der zum Haus »Seedorn« gehörenden Bibliothek – »Wie geht’s dem Archivwesen?« –, mehr nicht. Doch hartnäckig blieb er Fonty auf den Hacken, auf Sandwegen keuchend das Hochland hinauf, bis zum Leuchtturm und bis dicht vor die Kante der Steilküste. Sein Äußeres hatte sich merklich amerikanisiert: Zur Baseballkappe und einem T-Shirt trug Hoftaller nicht nur Shorts, sondern nun auch inselgerechtes Schuhzeug mit Schaumgummisohle, sogenannte Sneakers, übersetzt »Schleicher«, und zwar mit dem Firmenzeichen New Balance, wie er uns später, auf Befragen, mitteilte.
    Und weil er mit solchen Sneakers so unablässig seinem Objekt hinterdrein blieb, damit ihm der Inselgast Wuttke nicht entging, zudem ein Mißgeschick Folgen hatte
    - Emmi verstauchte sich bei einem Spaziergang zur Lietzenburg den linken Fuß –, glaubte Fonty, Stoff genug für einen dritten Brief an seine Tochter zu haben. Er füllte Blatt nach Blatt, selbst wenn mit Antwort, trotz der Luftliniennähe von Insel zu Insel, nicht zu rechnen war; in jenen Tagen standen zwar überall endlich die Grenzen offen, doch im hinfälligen Arbeiter- und Bauern-Staat zeigte sich das Postwesen dieser neuen Offenheit nicht gewachsen. Er schrieb aus bloßer Neigung und weil es ihn drängte: »Das Wetter bleibt prächtig! Sommerwolken von Küste zu Küste. Weil es aber mit wolkigen Grüßen – sie mögen noch so wattig verpackt sein – nicht getan ist, will Dir Dein alter Vater einen Brief stiften, der diesmal nicht sogleich die Insel in Breite und Länge ausmißt, sondern zuerst von Mama berichtet, die sich den Fuß, natürlich den linken, verstaucht hat. Mal soll ein heimtückischer Wurzelstrunk im Hügelland, mal ein böser Uferstein ihr Malheur verschuldet haben, das sie nun liegend und laut beklagt, wie immer weit übers Ziel hinausschießend. Erinnert mich fatal an früher, wenn ihre sogenannte ›Sturmkrankheit‹ nach stummem Jammer jeweils ins Lamento umschlug. Dabei wäre es unsere Pflicht, nach so ausgedehntem Krankenlager eine gewisse Hospitalstimmung von uns fernzuhalten und nicht in Heulhuberei zu verfallen, was, wie ich weiß, weder Deine noch meine Sache ist. Zum Glück sind Frau Freundlich und ihre Töchter ausdauernd um die zwar stöhnende, aber auch mitteilsame Kranke besorgt. Sie legen kühlende Wickel auf und üben sich dabei als geduldige Zuhörerinnen. Alle drei sind – die Mutter mehr als die Töchter – klug genug für jedes Gespräch, selbst heikle Themen wie die prekäre Lage in Nahost eingeschlossen, woran man immer einen Toleranzmesser hat; nur die Dämlichen, an denen sogar diese paradiesischste aller Inseln keinen Mangel leidet, sind ötepotöte. Dabei scheint mir Madame Freundlich unter der Oberfläche stillhaltender Heiterkeit (dann wieder forcierter Sachlichkeit) überaus besorgt zu sein, nicht nur ihren Mann betreffend. Zur Situation in Jena kommt neuerdings hinzu, daß beide in Leipzig studierenden Töchter auswandern wollen, doch nicht nach Kanada, wie der Vater rät, sondern nach Israel. Häßliche Vorkommnisse sollen diesen plötzlichen Entschluß angestoßen haben. Was lange verdeckt bleiben mußte oder allenfalls parteilich als antizionistische Parole zugelassen war, bricht nun gewalttätig auf, dabei frech auf die Freiheit des Wortes und jenen dummdreisten Stolz auf Deutschland pochend, der schon immer mit der Gewalt einherging: Auf offener Straße hat eine brüllende Rotte die Mädchen angepöbelt; dabei sind Rosa und Clara, wie Du Dich sicher erinnerst, aufs Nordischste blondgelockt. (Auch Dir würde – bei aller Voreingenommenheit den Freundlichs gegenüber – solch nackt zutage tretende Feindschaft zuwider sein.) Mich jedenfalls hat diese Geschichte entsetzt; der Professor jedoch ist bester Laune und bleibt dabei – was ich nicht unkritisch sehe – ganz in den Banden seiner Persönlichkeit. Nur was er erlebt hat, soll heißen, was ihm zur Zeit an der Universität angetan wird – und das ist bösartig genug trifft und interessiert ihn. Obendrein kommt immer wieder das leidige Parteiverfahren von dazumal auf, in dessen Verlauf ich ihm, wie vormals dem Siebzig-einundsiebziger-Veteranen Friedlaender bei dessen Ehrengerichtsverfahren, geraten habe, allen Parteifunktionären von provinziellem Zuschnitt, wie auch den dünkelhaften und in ihrer Karriere steckengebliebenen Offizieren aus Friedlaenders Regiment, den

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