Ein weites Feld
brachte die üblichen Stereotypen: der gichtkrumme König, der blaue Königsblick, das furchtbar königliche Zitat: ›Hunde, wollt ihr ewig leben!‹ Doch nichts von Katte, der unterm Richtschwert kniet, während der Kronprinz zusehen muß. Wäre ein Stoff für Müller gewesen, und sei es als Antwort auf die Brechtsche ›Maßnahme‹. Komischerweise bestätigte mir Professor Freundlich, der ja als Zwölfjähriger, weil Kind eines führenden Genossen, an Hauptmanns offener Grube stehen durfte, diese ins Wurst- und Kartoffelsalatdetail gehenden Schilderungen meines altvertrauten Kumpans. Doch sonst sind die beiden sich nicht grün. Meiner These, nach der die Juden sich immer als die besseren Preußen bewiesen haben, kann er, der schon den Amtsrichter Friedlaender durch die (neuerdings wieder modische) Stöckersche Brille des Antisemitismus sah, nicht zustimmen. Desgleichen Mama, die den Professor nur ungern an ihrem Krankenlager sieht. ›Der ist mir zu ironisch!‹ heißt das bei ihr. Doch da sie meinen Tagundnachtschatten gleich kurzgebunden ablehnt ›Der war mir schon immer zu zweideutig!‹ –, werte ich ihr Urteil als zwar nicht gerecht, aber ausgewogen. Mir wiederum sind beide so nachhaltig vertraut, daß ich eine gewisse Anhänglichkeit selbst dann nicht leugnen mag, wenn sie in Abhängigkeit umschlägt. Nun ist aus dem kleinen Brief doch wieder ein länglicher geworden. Sag Deinem Grundmann, daß ich für die hochzeitliche Tischrede insgeheim eine Suada über den Ehebruch auf der Pfanne hatte, aber Mamas Einspruch fürchten mußte: wie denn aus Furcht vor obligaten Zweideutigkeiten Briests Hochzeitsrede im Roman wohlweislich ausgespart wird, nur Frau von Briest gibt zu erkennen, daß der Alte wenig ›Gescheites‹ bei diesem Anlaß ausgeplaudert habe. Deshalb sage Deinem Grundmann lieber. daß die Technik des Aussparens nun mal zum Schreiben wie das Verschweigen zur Ehe gehöre. Oder sag besser nichts. Mama, die Dich grüßt, schläft schon. Nur ein Nachtfalter macht Geräusch. Sonst ist es kolossal still hier …«
Als sie den Friedhof besuchten, sahen andere Besucher beide vor dem Findling. Dieses Paar, wie gemacht für Auftritte vor gewichtigem Hintergrund. Später saßen sie Seite an Seite in der Fischerkirche: Fonty satt an Kenntnissen, Hoftaller ein wenig verlegen und fast kindlich staunend angesichts des himmelblauen Tonnengewölbes, dessen Firmament rosenbekränzt ist. Mit kurzem Finger wies er auf den fleischig rosa schwebenden Engel vorm Altarraum und ein blaues Faltentuch, das in geschicktem Wurf die selbst Engeln eigene Blöße bedeckt. Danach galt seine Neugierde einem links vom Altar hängenden Zeesboot mit rotbraunem Segel; ein Bootstyp, der in früherer Zeit von den Hiddenseer Fischern zur Boddenfischerei bemannt wurde. Das rechts hängende Wikingerschiff interessierte ihn weniger, doch ließ er sich von Fonty in allen Einzelheiten ein Bild erläutern, das unter der Orgelempore hängt und ein bei Sturm in Seenot geratenes Schiff zum Motiv hat. Dabei mußten sich beide in der weißblauen Kirchenbank verdrehen, sich sozusagen über die Schulter gucken. Während er noch seinem Banknachbarn die gemalte Seenot bis ins strandräuberische Detail interpretierte, suchte Fonty die Orgelbank nach der ältesten Tochter des einstigen Inselarztes ab. Aber da war nichts. Nur dürftig ausgestattete Erinnerung. Nur eines alten Mannes restliche Sehnsucht.
Dann gab es nichts mehr zu gucken. Weder das hölzerne Taufbecken noch die wie eine gute Stube in den rechten Altarraum gerückte Sakristei lenkten ab. Sie flüsterten miteinander. Bald flüsterte nur noch Hoftaller in Fontys Ohr. der lange stillhielt. Er saß in sich zusammengesackt, zum Zuhören verurteilt, kein Gegengeflüster. Wir verließen die Fischerkirche zu früh, erlebten aber noch mit, wie sich Fonty aus der Kirchenbank zwängte und unter den fleischig rosa schwebenden Engel und dessen güldene Flügel stellte, als suche er Schutz. Dann wies er auf ein barockes Schnörkelwerk, das die Sakristei krönt, und zitierte laut hallend den von geschnitzten Engeln gehaltenen Spruch: »Heilig, heilig, heilig ist der Gott Zebaoth!« Mehrmals rief er die alttestamentliche Instanz an und sagte dann mit weniger Stimme: »Zumindest soviel sollten Sie respektieren. Wir befinden uns hier auf kirchlichem Grund und Boden und nicht in der Normannenstraße. Das hier ist keine Zweigstelle des Prinz-Albrecht-Palais. Sagen Sie das Ihrem Polizeipräsidenten, dem Herrn
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