Ein weites Feld
Franziskanerkutte samt weißem Strick, ferner das Säckchen schlesische Erde auf der Brust des Toten und der Streit um den Sonderzug, der am Ende aus acht Güterwagen und zwei Personenwagen der Reichsbahn bestand, insgesamt zum Sinnbild kriegswüster Zeit tauglich; Hauptmann starb, als der Frieden kaum älter als ein Jahr war. In seinem Vortrag sparte Fonty an keinem Detail. So vergaß er nicht, die Verdienste des sowjetischen Oberst Sokolow zu betonen, indem er ihn immer wieder vor die im Haus Wiesenstein – Hauptmanns schlesischem Domizil – aufgebahrte Leiche stellte, zum Schutz vor polnischen Plünderern, versteht sich. Und weil er den Rotarmisten zum Helden und obendrein Literaturliebhaber machte, wurde seine stets gefährdete Position beim Kulturbund gestärkt; er durfte diesen Vortrag als Gedenkrede zuerst in Forst, am Westufer der Neiße, dann im Foyer der Berliner Volksbühne am Luxemburg-Platz, darauf in Stralsund, schließlich in Kloster auf Hiddensee, und zwar am 28. Juli 1966, halten. Und überall versammelte sich erstaunlich viel Publikum. Auf allen Stationen der letzten Reise des toten Dichters sprach Fonty vor vollem Saal. Allerorts hörte man, welche Möbel, dank Oberst Sokolow, als Museumsgut deklariert wurden, zum Beispiel der riesige Schreibtisch, der leider beim Verladen lange im Regen stehen mußte. Der Streit mit den polnischen Behörden um die Zahl der zu den Umzugsgütern gerechneten Nähmaschinen wurde nur kurz erwähnt, desgleichen die Gefahren drohender Plünderung der Güter-und Personenwagen durch Jugendbanden, die immer wieder von einem Leutnant der Roten Armee, namens Leo, abgewendet werden konnten, und sei es mit gezogener Pistole.
Nachdem der Sonderzug, dessen Personenabteile übrigens kaum oder nur provisorisch verglast waren, von Agnetendorf durch Niederschlesien mühsam vorangekommen war, durfte er endlich die Grenzstation Tuplice, vormals Teuplitz an der Neiße, passieren und die nach Kriegsende von Ost nach West gerückte Republik Polen verlassen. Schon bei der Ankunft im Grenzstädtchen Forst begannen die Totenfeiern im verkleinerten Deutschland. Fonty zählte die dort wartenden Parteifunktionäre und Besatzungsoffiziere auf. Die Wochenschau stand mit aufgebockter Kamera bereit. Schauspieler, Regisseure, Professoren und Journalisten aus aller Welt hatten sich versammelt, und mit großer Delegation trauerte der Kulturbund um Hauptmann, seinen Ehrenvorsitzenden. Deklamationen, Trauermusik gehörten zum Programm. Reden wurden gehalten: auf deutsch, auf russisch. Eher dürftig war der Empfang des Sonderzugs in Berlin-Schöneweide, was Fonty in seinem Vortrag mit der Bemerkung quittierte: »Hier ist der lokale Heilige noch immer ein Eckensteher namens Nante.« Doch erwählte er die im Krieg zur Ruine ausgebrannte Volksbühne zum ideellen Ort des toten Dramatikers, den er, ganz ohne Einschränkung, unsterblich nannte. In Stralsund stand man mit Fackeln bereit. Der Zinksarg, der beim Transport leichten, doch reparablen Schaden genommen hatte, wurde im Rathaussaal aufgebahrt. Einige Universitätsprofessoren, mehrere Parteiaktivisten und ein Grüppchen schlesische Neusiedler hielten die Totenwache. Bei der Trauerfeier setzten die Redner jene Tradition der Lobpreisung fort, die dem lebenden Dichter zu jeder Zeit widerfahren war: im Kaiserreich gepriesen, weil offiziell angefeindet, gefeiert, solange die Weimarer Republik hielt, vom Volk und dessen Führer im Dritten Reich zum Idol erhoben, wurde des Toten Ruhm nun unter stalinistischer Herrschaft in Szene gesetzt.
Der vortragende Fonty hat diese ungebrochene Tradition in einem Bild anschaulich gemacht: »Hauptmann zog immer, vor welchen Karren er auch gespannt wurde oder sich spannen ließ.« Doch weil er im nächsten Satz schon die Totenrede des Kulturbundvorsitzenden und expressionistischen Dichters Johannes R. Becher herausstrich und sich dabei listig auf die kürzlich wirksam gewordenen Beschlüsse des elften Plenums berief, hat ihm die seinen Vorträgen übergeordnete Dienststelle das Bild vom immer gleichbleibenden Karren zwar später gestrichen, doch nicht folgenreich verübelt. Zum Schluß, als es, nach ausreichenden Hinweisen auf die deutschsowjetische Freundschaft und den völkerverbindenden Humanismus, nur noch um das Begräbnis auf Hiddensee ging, erlaubte sich Fonty einige Bemerkungen über die Leichenbestattung des anderen Unsterblichen, die in Berlin am 24. September 1898 auf dem Friedhof der französisch-reformierten
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