Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
Gemeinde an der Liesenstraße stattfand: »Der Leichenzug ging bei sonnigem Wetter vom Johanniterhaus in der Potsdamer Straße durch die Invalidenstraße, wo Stine und die Witwe Pittelkow gewohnt haben. Pastor Devaranne gab das Geleit, Freunde, Verwandte. Der Kritiker Karl Frenzel sprach am Grab. Mehr nicht. Preußens Adel glänzte durch Abwesenheit!«
    Auch davon war unterwegs und beim Kaffee die Rede. Fonty verweilte noch einige Zeit auf dem HugenottenFriedhof und schilderte dessen jetzigen, eher trostlosen Zustand, doch da Eckhard Freundlich, in Begleitung seines Vaters, bei der Beerdigung auf dem Friedhof in Kloster dabeigewesen war, rückten seine Erinnerungen als photographisch genaue Ausschnitte bald in den Vordergrund: das Bild vom Sarg auf dem Vorschiff des Dampfers »Hiddensee«; der zum Bild gewordene Schleier der vereinsamten Witwe Margarete Hauptmann, der in gleicher Windrichtung wehte. Wie sich die Rauchfahne des Totenschiffes hinzog; und Bild nach Bild die sechs Hiddenseer Fischer als Sargträger. Wenn Fonty, der nicht dabeigewesen ist, etwas undeutlich von »beigemischter schlesischer Erde« sprach, wußte Freundlich, daß man »nach jeder Schippe Inselsand eine Schippe schweren Boden aus Agnetendorf«, der zum geretteten Flüchtlingsgut gehörte, »ziemlich polternd« in die Grube geschaufelt habe. Fonty beharrte auf den vom Dichter gewünschten Begräbnistermin »vor Sonnenaufgang«. Freundlich war sicher, daß mit einiger Verspätung begraben wurde: »Wir alle warfen schon Schatten, mein lieber Wuttke, so hoch stand der Feuerball überm Horizont der Ostsee. Erinnere mich, als Kind in Mexiko solch Naturtheater gesehen zu haben. Sah toll aus!« Sogar den Grund des verpaßten Termins wußte er noch: »Naja, die Fischer kamen zu spät. Immer noch angeduhnt, trugen sie den Sarg so torkelig, daß sie ins Stolpern gerieten, weil man am Vorabend schon den Leichenschmaus vorweggefeiert hatte. Und was es alles zum Schnaps zu essen gab: Wurst, Schinken, hartgekochte Eier, kaltes Huhn, Kartoffelsalat. Und da die Gaus und Striesows, die Schlucks und die Gottschalks allesamt nicht nur durstig, sondern auch ausgehungert waren, haben sie zugelangt und sich die Taschen vollgestopft. Das war ein Fest, mein lieber Wuttke! Kein Wunder, daß die Sargträger es noch in den Beinen hatten.« Bei diesem Leichenschmaus soll sich besonders ein Schauspieler aus Sachsen, der durch Filme bekannt geworden war, in denen er täuschend Friedrich den Großen dargestellt hatte, für die nächsten Tage versorgt haben; doch diese Lokalfarbe trug nicht Professor Freundlich auf, sondern tags drauf ein weiterer Inselgast.

18 Beim Wassertreten
    Wir haben uns während seiner beklemmenden Anwesenheit und danach gefragt: Warum reiste er an? Warum so plötzlich und unangemeldet? Glaubte er, weiteren Gesprächen zwischen Fonty und Freundlich nicht fern sein zu dürfen? Waren Wanderungen zu dritt seine Absicht? Oder suchte er nur Erholung, harmlos und als Tourist? Jemand tippte auf Eifersucht. Ein anderer vermutete Routine als fortwirkenden Antrieb. Sicher waren wir alle, daß ihn Berlin nicht halten konnte. Die Stadt muß ihm gestunken haben. Das hielt er nicht aus: drückende Hitze, Einsamkeit in der Menge, das ihm fehlende Objekt. Er litt unter Entzug, denn ohne Fonty fühlte er sich verlassen, wenn nicht verloren. Niemand hätte Ersatz bieten können, gewiß nicht die minderen Fälle vom Prenzlauer Berg. Wir begriffen, daß dem Tagundnachtschatten so etwas wie Sehnsucht nicht fremd war. Wollte er nur dabeisein? Zumindest wünschte er, von fern den Brieffreunden zu folgen, sobald sie ihre Fußreisen zuwege brachten. Schließlich gehörte der Fall Freundlich, nach Akteneinsicht, zu seinem Spezialwissen: Nicht nur die zurückliegenden Parteiverfahren des Professors, auch dessen gegenwärtig prekäre Lage war erfaßt. Sogar von Angesicht kannte man sich, weil in unserem fürsorglich verengten Staatswesen keiner dem anderen ausweichen konnte. Und da – aus Fontys Sicht – in Freundlich der Amtsrichter Friedlaender nachlebte, war mit Hoftaller auch Tallhover zur Stelle. Überdies mag er ein wenig Entspannung gesucht haben. Dafür spricht, daß er, kaum angekommen, zur Leiterin des Hauptmannhauses sagte: »Ein paar ruhige Inseltage habe ich bitter nötig. Sie ahnen nicht, wie anstrengend Berlin geworden ist, ne einzige Strapaze, kaum auszuhalten.« Uns mußte, auf dem Weg nach Grieben, ein Kopfnicken als Begrüßung genug sein. Wir waren nicht

Weitere Kostenlose Bücher