Ein weites Feld
Hunden gehetzt über den Weg laufen. Allenfalls einen Blick wert sind flotte Westler, die grapschig und wendeselig auf Grundstückssuche sind; sonst nur verstörtes Inselvolk, dem das Neue noch nie geheuer gewesen ist – und natürlich mein altvertrauter Kumpan, dem nur schwerlich auszuweichen sein wird.
Heute bestand er darauf, an meiner Seite – und ohne den von mir erwünschten Beistand Freundlichs – einige Wanderwege abzulaufen. Du solltest ihn sehen in seinem Freizeitlook: eine Figur aus dem Panoptikum berlinischer Originale, bedeckt mit amerikanischer Baseballmütze und fix zuwege in kunterbunten Turnschuhen. Dazu die kniefreien Hosen und das überall spannende Hemdchen, auf dem mit sattem Aufdruck für ein ohnehin bekanntes Getränk geworben wird. Nur seine allzeit gewichtige Aktentasche hat er diesmal zu Haus gelassen. Man kann ihn eigentlich nicht ernst nehmen, so penetrant er anhänglich ist. (Deshalb rate ich Dir, sein gewiß unpassendes Hochzeitsgeschenk als Lappalie zu bewerten. Ein schlechter Scherz, sonst nichts!) Aber rundum informiert ist er schon: weiß, wer in bester Insellage ohne Genehmigung gebaut hat, welche Altbesitzer in Bergen auf Rügen im Grundbuch eingetragen sind, welche nicht und warum nicht. Sogar die Ferienhäuser der Staatssicherheit, mithin seiner eigenen Firma, die Mitte der achtziger Jahre gegen jedes Verbot ins beginnende Hügelland gesetzt wurden, gab er mir preis, samt interner Baugeschichte; ein Kapitel für sich. Und als wir – notabene – vorm Hauptmanngrab standen, wurde in ihm der alte Tallhover redselig: Er sei beim Begräbnis dabeigewesen. Seine Dienststelle habe, vom schlesischen Agnetendorf an, mit dem Genossen Leo, den man sich nicht als simplen Leutnant der Roten Armee vorstellen dürfe, Kontakt gehalten. Ihm sei beim Leichenschmaus jener Schauspieler mit (nach Menzel) historischem Profil, der sich in diversen Filmen als ›Alter Fritz‹ einen Namen gemacht habe, beim Diebstahl von Lebensmitteln aufgefallen: Wurst und hartgekochte Eier. Er erinnere sich an diese Filme lebhaft, weshalb er keine Meldung erstattet habe. Die schauspielerische Leistung, der verkörperte Durchhaltewille und so weiter. Schließlich hat er mir zugezwinkert und mit dickem Finger auf den kolossalen Findling gedeutet: Vieles von Hauptmann sei immer noch spielbar. Doch die subversive Kraft des jungen Dramatikers habe nur und sogleich der Unsterbliche erkannt. Ihm falle Verdienst zu, weil er, außer der Kunstfertigkeit, den neuen, umstürzlerisch aufreizenden Ton gehört habe. Und gleichfalls hätte der Unsterbliche gewiß – wie es mir meinerzeit möglich gewesen sei -das gefährlich Neue aus den rabiaten ersten Versuchen des damals jungen Dramatikers Müller herausgehört und mit Probenbeginn der ›Umsiedlerin‹ an interessierter Stelle bekanntgemacht. Das stimmt beinahe, im einen wie im anderen Fall. Sämtliche Skribifaxe, all die Landau und Lindau – der Theaterkritiker Frenzel ausgenommen –, haben an Hauptmann nur ihren Witz und Ulk abgelassen, oberflächlich und böswillig. Lächerlich, diesen jungen Kerl mit der landläufigen Phrase ›Er hat ein bißchen Talent‹ abzuspeisen. Gleich dumm wollte man den jungen Müller runterstufen. Außer mir haben nur die Kollegen Hacks und Bunge ein Wort für das noch unfertige, aber doch gekonnt dem Leben abgezapfte Stück eingelegt. Half nichts! ›Talent ohne Perspektive‹ und ›fehlende Parteilichkeit‹ lautete das Gefasel beim Verband wie in der Akademie. Doch Talent ist gar nichts. Ein bißchen Talent hat jeder. ›Glauben Sie einem alten Knopp‹, schrieb ich an Stephany und später an die Genossin Seghers, ›hinter einem Mann, der sowas schreiben kann, steckt mehr …‹ Übrigens hat mir mein altvertrauter Kumpan, nachdem er vorm Hauptmanngrab in Kniehosen und auf Turnschuhen seine Kappe gezogen hatte, auf dem kurzen Weg zur Kirche versichert, daß sich weder der Inselpastor Gustavs noch der Inseldoktor Ehrhardt an der beim Leichenschmaus um sich greifenden Mundräuberei beteiligt hätten. ›Nur die Fischer und späteren Sargträger und dieser Schauspieler mit Profil haben zugelangt!‹ rief er und hat mir dann lang und breit -nun schon in der Kirche den schlachtenreichen Ablauf etlicher Ufa-Filme wie ›Der Choral von Leuthen‹ und Tridericus Rex‹ erzählt. Geschichtsklitterungen, die ich, weiß Gott, kenne und als junger Kintoppgänger mit sträflicher Begeisterung gesehen habe, denn dieser Mime namens Otto Gebühr
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