Ein weites Feld
von Puttkamer. Kapiert, Tallhover? Hier haben Sie nichts zu suchen. Hier singt man nicht nach ledernen Protokollen. Zwar sträflich ungläubig, stehe ich hier dennoch unter besonderem Schutz.« Als Fonty nach einigem Abwarten, das nichts brachte, gleichwohl die Fischerkirche verließ, folgte ihm Hoftaller nicht sofort, eher betont verzögert. Wir waren sicher, daß sie einander nicht verlorengehen konnten. Zu klein war die Insel, zu reich mit Zetteln gespickt ihr Gedächtnis, zu verknotet ihr Knäuel.
Man hat sie wiederholt nah beieinander gesehen: hinter Ginstersträuchern im Hochland und auf der dem alten Bessin vorgelagerten Landzunge, die als neuer Bessin und bevorzugter Nacktbadestrand gilt. Wir sahen sie aus Distanz.
Zuletzt standen sie in der Ostsee, die zwischen Kloster und Vitte den sandigen und zur Düne hin – mit Steinen beschwerten Inselstrand leckt. Doch so weit entrückt wir sie sahen. irgendein Wind trug uns Wortfetzen, Ausrufe. Satzanfänge. all das zu, was uns erlaubt, bloße Vermutungen zum Dialog zu festigen, freilich setzte der Wind manchmal aus. wir sahen sie nur reden: leere Sprechblasen. die uns offenstanden. An sich ein harmloses Bild: beide im erträglich kühlen Flachwasser. Fonty unterm Strohhut und mit hochgekrempelten Hosenbeinen, Hoftaller hatte die Baseballkappe auf und stand kniefrei in Shorts. Entfernt gewannen weitere Inselgäste dem Altweibersommer ein Fußbad ab. Sogar Schwimmer sah man jenseits der letzten Sandbank. Und etwa so wird Hoftaller sein zögerndes Objekt überredet haben: »Sie sind doch für Kneippkuren, Fonty. Ein halbes Stündchen Wassertreten nur. Das belebt den Kreislauf. Dabei läßt sich gut plaudern.« Den Wanderstock, die Jacke, einen Plastikbeutel, ihre Socken, die Schnürschuhe und Sneakers mit Schaumgummisohle hatten sie abgelegt. Hölzerne Poller waren alle hundert Meter in die See hineingetrieben worden, damit sie dicht bei dicht den Sandstrand festigten. So waren Buhnen entstanden; und eine der Buhnen gehörte den beiden. Anfangs schwiegen sie beim Wassertreten, bis Hoftaller, hilfreich wie immer, ein Stichwort lieferte, von dem wir wissen, daß er es besonders gerne hervorzog und deshalb wiederholt in Anschlag gebracht hat: »Erinnern Sie sich, damals in Dresden?« Fonty, der diese Falle seit letztem Sofagespräch kannte und fürchtete, wird versucht haben, sich so naheliegend wie möglich zu erinnern: »Sie meinen den Kulturbundkongreß im Februar vierundfünfzig. Steht mir vor Augen. War als Berliner Delegierter dabei. Wir wurden zum ersten Mal auf Kreiskonferenzen gewählt. Habe mich in Dresden furchtbar ins Zeug gelegt und vor der Gefahr landesweit einreißender Vereinsmeierei gewarnt …«
»Wenn ich Dresden sage, befinden wir uns im Vormärz, mein Lieber. Ein gewisser Jungapotheker eifert einem gewissen Dichter namens Herwegh nach. Ganz Sachsen ist Beute der Demagogen. In Leipzig gibt es sogar nen Club, in dem fleißig gegen die Obrigkeit konspiriert wird. Und zum Club gehört dieser Jungapotheker …« Wir sind sicher, daß sich Fonty beim Wassertreten weiterhin an den Kulturbund geklammert hat, nicht ohne Erfolg, denn seinem Insistieren: »Und diesem Dresdner Kongreß, übrigens dem vierten, kam ziemliche Bedeutung zu«, konnte Hoftaller nicht ausweichen: »Wen wunderte das. Nach der gescheiterten Konterrevolution vom Vorjahr versprach man sich ne gewisse Stabilisierung durch Neufassung der Grundaufgaben. Doch wenn ich ›damals in Dresden‹ sage, meine ich nicht die endlosen Anträge der Philateliekundigen und Aquarienfreunde und bestimmt nicht die Wünsche der Sektion ›Literatur und kulturelles Erbe‹, die im Prinzip nur auf Ferienplätze im Erholungsheim des Kulturbundes in Bad Saarow erpicht war, Sie übrigens auch, Fonty. Lauter kleinbürgerliche Wünsche bei vorgeblich revolutionärer Zielsetzung, was mich sofort zu den demagogischen Umtrieben verbummelter Studenten in Leipzig zurückführt, mit denen ein gewisser Jungapotheker, der wenig später in der Dresdner Salomonis-Apotheke …«
»Sag ich ja. Die Neigung der versammelten Delegierten ging dahin, jeden sein Steckenpferd reiten zu lassen, wenn auch nach streng parteilicher Dressur. Habe dagegen polemisiert. Steht alles im Protokoll. Sollten Sie eigentlich wissen. Aber rieche schon, wonach dem Tallhover in Ihnen der Sinn steht: unsere metaphernreichen Freiheitsträume, unsere Reime auf Spitzel und Polizei, unsere Spottverse auf liberale Stammtischhelden, unsere unterm Strich
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