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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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lächerliche Verschwörung gegen die staatliche Obrigkeit. Wolfsohn und ich, ich und Wolfsohn. Schrieb ihm von der Brühlschen Terrasse aus … Schmerzliche Gefühle … Lassen wir das. Wen kümmert das noch!«
    »Um Ihnen zuzustimmen: Auch für uns waren das Kindereien nur. Ne relativ kurze Aktenlage, längst abgeschlossen. Und wenn nicht ne andere, Jahre später wiederholte Kinderei einen wahren Kindersegen zur Folge gehabt hätte, müßte ich nicht so beharrlich an Dresden erinnern. Na, fällt der Groschen?« Beim Wassertreten ist gut plaudern, hatte Hoftaller versprochen. Fonty wird von Beginn der Kneippkur an geahnt haben, was mit der geforderten Rückbesinnung auf Dresden gemeint war, wußte er doch seit jenem Sofagespräch, als mit zu süßem Rotwein die Neuaufpolsterung des Sitzmöbels gefeiert werden sollte, daß sein Tagundnachtschatten über ein Bündel Liebesbriefe verfügte, die wir gerne im Archiv gesichert hätten. Hilflos wirkte deshalb sein abwehrender Satz: »Wieder einmal soll unser unfreiwilliger Kindsvater gepeinigt werden.« Er konzentrierte sich auf die Gesundheitsübung, trat weiches Ostseewasser, spürte von den Sohlen her belebende Wirkung und ließ dabei eine Suada über sich ergehen, in der Geburtsdaten, der ominöse Brief an Lepel, pünktliche Alimentezahlungen und zitierte Herzensergüsse, gerichtet an eine Gärtnerstochter namens Magdalena Strehlenow, sowie Ruderpartien auf der Elbe und der Tod des zweitgeborenen Kindes, hingerafft von der Diphterie, schließlich die Geburtstage der überlebenden Tochter Mathilde, die alle ohne väterliches Geschenk begangen wurden, mit weiteren Peinlichkeiten zu einem Brei verkocht waren, den Fonty nicht löffeln wollte: nein, verbissen trat er die See. Als Hoftaller jedoch zusätzliche Kost, die lebenslange Unwissenheit der damaligen Verlobten Emilie, geborene Rouanet-Kummer, aufzutischen begann, unterbrach sich der Beschuldigte beim Wassertreten: »Halte nichts von platten Geständnissen. Ist alles abgearbeitet und Literatur geworden. Komme nur deshalb noch einmal auf den vierten Kulturbundkongreß zurück, weil ich schon damals bei einem Gespräch am Rande, und zwar mit einem wirklichen Kenner der Materie, dem vorzüglichen Biographen Reuter, die These vertreten habe, daß dieses leidige Thema in Romanen und Erzählungen erschöpft worden ist: in ›Ellernklipp‹ und ›Grete Minde‹ wie im ›Stechlin‹ – denken Sie an die kleine Agnes, die, obzwar unehelich, dem alten Dubslav das Sterben erleichtert -; ferner geht es in ›L’Adultera‹ um das aus ehelicher Untreue geborene Kind und – wenn Sie sich der armen Effi erbarmen wollen – um das, wegen erwiesener Untreue, der Mutter entrissene Kind. Dennoch ich weiß! bleibt die Frage nach der Schuld allemal offen, wie ja die Position der Moral eine schwankende ist. Wer will hier richten? Wer maßt sich letztes Urteil an? Nur Philister, die mal so, mal so heißen …« Hoftaller schwieg eine Weile. Vielleicht hoffte er, daß sich Fontys Erregung mittels Kneippkur abkühlen werde. Wir sahen, wie beide nur noch auf ihre Gesundheit bedacht zu sein schienen, so pedantisch regelmäßig traten sie das Flachwasser. Eine Pause, lang genug für Spekulationen, entstand. Doch als wir uns die Vielzahl möglicher Rückbezüge vor Augen hielten, fehlte ein literarischer Titel; und sogleich waren wir sicher, daß diese Lücke nicht offenbleiben würde. Leise, für uns in den Dünen zu leise, aber dennoch zitierbar, weil wir, die von Berufs wegen hellhörig sind, davon ein wenig Wind bekamen, sagte Hoftaller: »Bin ja Ihrer Meinung. Nur der Unsterbliche hat für das uneheliche Kind, auch Bankett genannt, solch ne Menge Interesse aufgebracht. Klar doch, weil seine Emilie ihren richtigen Vater, einen Militärarzt namens Bosse, verschwiegen hat und sich lieber nach ihrem Adoptivvater – schlimm genug – Kummer nannte; und Ihre Emmi leidet ja auch unter solch ner Blindstelle. Aber erstaunt bin ich schon, daß Sie in Ihrer Bilanz diesen damals als Hurengeschichte beschimpften Roman ausgelassen haben. als wollten Sie Lene Nimptsch verleugnen, die schon auf Seite eins als Pflegetochter einer alten Frau vorgestellt wird, ohne daß wir im Fortgang der Geschichte – abgesehen von ein paar Andeutungen der schwatzhaften Frau Dörr irgend nen Tip kriegen über Vater und Mutter jener klaglosen Schönheit, deren liebenswerte Eigenschaften ner gewissen Magdalena Strehlenow abgekupfert worden sind, wie sich ja auch diese

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