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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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glotzen und mehr sehen, als zu sehen war. Das war nichts für Fonty. Diese restliche Landschaft konnte selbst er nicht beleben. Nein, in diese aufgeschüttete Wüste hätte er die arme Effi nicht verbannen mögen. In all ihrer Verlassenheit wäre nicht einmal die blasse Stine hierhin zu denken gewesen. Kein Ort für die ewig kränkelnde Cécile. Auf diesem schwarzen Grundwassersee hätte er Lene Nimptsch niemals eine Ruderpartie mit einem verliebten Leutnant erlaubt. Zu diesem panoramaweiten Auswurf wäre Frau Jenny Treibel keine poetische Überhöhung eingefallen. Und selbst Mathilde Möhrings nüchternem Sinn für Erwerb durch Arbeit hätte er eine solch leblose Produktionsstätte nicht zumuten wollen. An Martha, seine Mete, schrieb er: »Bin kein Zola! War nie auf Misere abonniert. Konnte soviel seelenlose Häßlichkeit keine Minute länger ansehen. Nicht nur von Gott – das ginge ja noch –, von aller Schönheit verlassen, atmete mich die Leere an …« Aber der Tagebau bei Altdöbern war, wenngleich nicht augenfällig, belebt. Plötzlich triumphierte eine menschliche Stimme, verstärkt über Lautsprecher, die sächsisch eingefärbt mitteilte, daß – wo auch immer – die Förderbänder »zwo, finf, ocht« in Betrieb seien. Die Durchsage wurde wiederholt. Und jetzt hörte man von fern und doch nah herangetragen das Knirschen, jaulen und Stöhnen der Transportbänder auf Rollen. Nochmals -und nun schon penetrant trotzig – bestand die Stimme auf Wiederholung, als wollte sie sich gegen den Zeitgeist, der allerorts nur Stillegung im Sinn hatte, durchsetzen, als wollte sie sagen: Wir fördern weiter! Wir sind nicht abzuwickeln! Uns macht ihr nicht platt! Denn immer noch gab die Grube -ohne weiterhin volkseigen sein zu dürfen – in täglichen Schichten Braunkohle her. Dort, wo einst, auf Landkarten markiert, das Dorf Pritzen gestanden hatte, wurde in magerem Aufkommen – neun Prozent nur Braunkohle in gut fünfzig Meter Tiefe raus geschrappt, und zwar von zweckmäßig konstruierten Nachbildungen urzeitlicher Monstren, jenen stählernen Dinosauriern, die das Endprodukt aus organischen Rückständen auf Förderbänder spuckten. Hoftaller erzählte von vergangenen Produktionsschlachten, von Sonderschichten und Prämien, vom Kampf der Helden der Arbeit gegen Kohle- und Energiemangel, vom übererfüllten Soll; doch davon wollte Fonty nichts hören. Abgewendet sehen wir ihn in Richtung Frauenklinik und Kirchturm schauen. Als hätte er von der Grube ablenken wollen, hören wir ihn vom Schloß Altdöbern plaudern. Das sei hübsch, aber baufällig. Erahnen lasse sich allenfalls die spätbarocke Fassade. Im noch nutzbaren Innern habe sich eine der Blockparteien, »die sich liberal schimpfende«, eingenistet. Demnächst müsse man, wie überall, mit westlichen Ansprüchen rechnen. Erben gäbe es immer. Doch mit dem Park, der dem Muskauschen nachempfunden sei, werde man Ärger bekommen. Der alte und seltene Baumbestand habe bereits Schaden genommen: »Durch Absenkung des Grundwasserspiegels. Das macht man bei Tagebau so. Kein Baum überlebt diesen Eingriff. Aber wen kümmert das schon …«
    Aus davon abgeleiteter Sorge hat sich Fonty in seinem Brief an Martha ausgeklagt: »… wie ich dicht hinter meinem altvertrauten Kumpan, also gefährlich nah am Grubenrand stand und kaum wagte hinabzublicken, sah ich mich plötzlich versucht, all dem ein Ende zu bereiten und sozusagen jegliche Last, die mich seit Jahren bedrückt, abzuwerfen, einfach in den Orkus zu kippen, wo ohnehin bis tief unten Müll und Unrat lagen, sogar ein toter Gaul oder dessen verwesender Kopf. Dieser Gestank! Dieses Schreckensbild! Gewiß, nur eine Chimäre, und dennoch, Du weißt ja, was alles mir zur Qual geworden ist. Wollte à tout prix – und noch zum höchsten
    - raus aus der Sache, den Zwängen, dem lähmend eintönigen Spielplan abgestandener Erinnerungen, der allenfalls grinsende Fratzen bietet. Aber die Einsicht, daß dafür kein Abgrund tief genug mißt, erlaubte keine dem mörderischen Gedanken folgende Tat, so sehr die Versuchung juckte. Genauso triftig hätte ich mich selbst in die Grube – oder er mich … Lassen wir das!« Wir wären, was Hoftaller betraf, weniger zimperlich und allenfalls nur im Prinzip gehemmt gewesen. Oft genug hat uns Fontys Kitzel, den kleinen Schubs zu wagen hoppla, und weg ist er! –, im Kollegenkreis Vergnügen bereitet. Doch mußten die Folgen bedacht werden: War Fonty ohne seinen Tagundnachtschatten

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