Ein weites Feld
vorstellbar? Hätte dessen Abwesenheit nicht sogleich eine Geschichte beendet, deren Pointen vom Echo lebten und, mehr oder weniger mißtönend, zweistimmig gesungen sein wollten? Was bleibt übrig, fragten wir uns, wenn Hoftaller wegfällt? Theo Wuttke, gewiß. Doch wäre dessen Existenz der weiteren Entwicklung förderlich und genug gewesen? Nein, Hoftaller war nicht sterblich! Wir wußten, daß durch sein Verschwinden allenfalls eine Neugeburt beschleunigt worden wäre; schon Tallhover war es nicht gelungen, ein Ende zu machen. Im Brief an Martha Grundmann steht weiterhin: »Wer sein Auge immer auf das Nichts richtet, der versteinert. Ich sagte mir deshalb: Man kann nicht ewig am Abgrund stehn. Schließlich begann es zu regnen. Von Nordost her trieben Wolken tief über die Erdkruste und ihre Telegraphenstangen, Chausseebäume und fernen Kirchtürme. Fast sah es aus, als wollten die durchhängenden Wolkensäcke alles Buschwerk, das dicht an der Abrißkante der Grube stand, einsacken und mit sich nehmen. Ein feiner Regen fiel und machte die soeben noch spiegelnden Grundwasserseen blind. Schon befürchteten meine alten Knochen den Anflug einer Erkältung mit anschließend kolossalem Bellhusten, da wurde mir gewiß, daß ich nicht allein war. Mein altvertrauter Kumpan stand mir noch immer zur Seite. Fürsorglich holte er einen Schirm aus der Manteltasche und spannte ihn über uns auf. Wir hätten gehen sollen, sofort …«
Den Schirm, Knirps genannt, hatte Hoftaller durch Druck verlängert und entfaltet, bevor er ihn aufspannte. Nein, sie gingen nicht. Vielmehr standen sie angewurzelt am Grubenrand, enggefügt nebeneinander als kompakter Schattenriß. Mit linker Hand hielt Hoftaller den Schirm hoch genug für Fontys überragende Größe. Nun konnte er sich nicht mehr abwenden. Unausweichlich war die Grube, das Loch. Vier, fünf Abbaustufen hinab flüchtete sein Blick, und doch mußte er hören, was Hoftaller unterm Schirm in freier Rede ausstieß, mal fließend, mal stockend. Das Loch lieferte Stichworte. »Stimmt! So sah es zum Schluß überall aus. War ne Staatspleite, Endstation! Nur noch Minus unterm Strich. Das stand jedenfalls in unseren Berichten an die führenden Genossen: Nichts mehr da, ausgebeutet bis zum Gehtnichtmehr. Naja, paar Restvorkommen gibt’s noch, da, da hinten, unterhalb Pritzen. Und auch mit dem Plattenbau hätten wir weiter und weiter machen können … Bestimmt den Trabi in größerer Stückzahl vom Band … Und jede Menge olympisches Gold … Über KoKo und ITA hätten wir beim Waffengeschäft wie der Westen … Und der Genosse Schalck hätte mit immer mehr Devisen …« Wir ließen ihn jammern. Das kannte man schon. Viel unterhaltsamer war es, ihn mit Objekt zum Multipel zu verzaubern, ohne und unterm Schirm. Doch selbst als Serienproduktion wollte er nicht vom Jammer ablassen; einen eingeübten Chor hörten wir: »Die drüben haben uns fix und fertig gemacht. Kein Wunder! Die gaben das Tempo an, wir mußten Schritt halten. Mußten wir gar nicht, dachten nur, daß wir unbedingt mußten, na, wettlaufen, wettrüsten, bis wir außer Puste, ausgelaugt, leergeschrappt waren. Nun ist das ganze schöne Volkseigentum für die Katz … Was alles die Treuhand gegrapscht hat, verscherbeln will … Ein Schnäppchen machen nennen die das. Ist aber ne Schande … Werden auf Null gebracht … Ehrenwort, Wuttke, genau das stand in unserem Bericht, daß der Klassenfeind uns auf Schrottwert kriegen will … Sollen sie haben, den Schrott. Sitzen nun drauf, halten die Treuhand drüber …« Und dieses Lamento als Passionschoral vom Grubenrand aus gesungen. Wir reihten das Paar unterm Schirm kilometerlang: ein schwarzer Randbesatz um die hier ausgebuchtete, dort gradlinige Abrißkante – als Zugewinn multipliziert, nach neuester Mehrwerttheorie. Trotz perspektivischer Verkleinerung und in der Ferne in Regenwolken verschwimmend, stand jede Einheit genormt mit der nächsten vergattert und jeder Regenschirm entfaltet als Serienprodukt. »Wetten, daß die damit nicht fertig werden? Wird ihnen anhängen, Klotz am Bein. Sollen uns ruhig schlucken. Verschlucken werden die sich. Haben ja nie genug gekriegt. Immer mehr. Nun kriegen sie alles und gratis dazu. Ehrenwort, Wuttke! Deshalb haben wir zu den führenden Genossen ›Aufmachen! Sperrangelweit aufmachen!‹ gesagt. Aber die Wandlitzer wollten nicht, bis der Druck von Montag zu Montag … weil wir gezielt durch die Finger geguckt … bis kein Halten mehr und die
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