Ein weites Feld
»Schriftsteller-Aristokratie«, war aber, nachdem er sie kunterbunt von Gustav Freytag bis Erwin Strittmatter, vom jungen Hauptmann bis zum späten Brecht aufgezählt hatte, der festen Meinung, »daß auch Glück und Erfolge die Sache nicht erheblich bessern«. Nach längerem Lamento -»Respekt ist etwas, das kaum vorkommt, immer Blâme. Das ganze Metier hat einen Knacks weg« – ließ er eine Einschränkung zu: »Am besten gestellt ist der Schriftsteller, wenn er gefürchtet wird …« Und nun führte er mit festem Blick auf Hoftaller, der mit inzwischen kalter Zigarre zu ihm aufschaute, diese Furcht vor der Literatur auf den »gewissen DetektivCharakter des Metiers« zurück. Einerseits feierte er die staatssichernde Angst vorm »klärenden, aufklärenden, den Kaiser nackt nennenden Wort«, und andererseits war ihm das »Elend der Aufklärung« beklagenswert. Er stürzte den unten lauernden Hoftaller in ein Wechselbad extremer Befindlichkeiten, indem er der Zensur als einer »nichtswürdigen und zugleich belebenden Institution« Dauer und, mehr noch, »die mindere Form der Unsterblichkeit« versprach. Dann aber machte er plötzlich und offenbar gutgelaunt -er rieb sich die Hände einen Vorschlag zur Verbesserung der Zustände, den er jedoch bald relativierte: »Vor ungefähr hundert Jahren konnte noch naiv und treuherzig gesagt werden: ›Der Staat allein kann hier Wandel schaffen, wenn er das Ungeheure tut und eines schönen Tages ausspricht: Diese meine ungeratenen Söhne sind nicht so ungeraten, als wofür ihr sie anseht. Auch sie stehen meinem Herzen nahe, sie bedeuten etwas, sie sind etwas …‹ Doch heutzutage, nachdem der Arbeiter- und Bauern-Staat so väterlich zu seinen Schriftstellern gesprochen, sie an die breite Brust genommen, schier erdrückt und doch fürsorglich gepflegt, mit Wohltaten gepäppelt, gleich einem hegenden Förster in Schonungen geschützt und sie allesamt unter die immer wache Aufsicht seiner den Staat sichernden Organe gestellt hat, so daß den vorher mißachteten Schriftstellern solche Aufmerksamkeit als Respekt zuteil wurde, sehen wir jetzt mit Entsetzen, daß es dennoch bei der Misere geblieben ist. Selbst der aufsässigsten Feder darf unterstellt werden, sie habe sich der Hofschreiberei verdingt. Dem mutigsten Appell liest man bestellten Protest ab. Und trat gelegentlich die Wahrheit auf, gilt ihr Auftritt heutzutage als ›zuvor genehmigt‹. Es gab ja schon früh warnende Vorzeichen. Wer hat dem armen Herwegh die Audienz vor König Friedrich Wilhelm eingefädelt? ›Ich liebe eine gesinnungsvolle Opposition!‹ hat seine Majestät geflötet und alsbald den gelackmeierten Dichter aus Preußen ausweisen lassen …« Fonty hatte seinen Ton gefunden. Jetzt wieder standhaft, rief er mit anklagender Geste, deren Fingerzeig abwärts wies: »Das war doch Ihr Werk, Tallhover! Sie haben das gedeichselt. Sie und Ihresgleichen haben allzeit für Transport gesorgt. Wer hat den armen Loest in Bautzen hinter Gitter gebracht? Wer hat die Besten, den bis zuletzt störrischen Johnson voran, aus dem Land gegrault? Wem verdankt Ihr Biograph die Folgen solch intensiver Pflegschaft? Wer hat unser sozialistisches Vaterland wie eine geschlossene Anstalt gesichert und den Schriftstellern obendrein, sobald sie aufmuckten, den Kantschen Zynismus als kategorischen Imperativ getrichtert? Sie waren das, vielgestalt Sie! In immer größerer Erfolgsauflage: Sie, Sie und Sie. Dabei allzeit lesefreudig, denn eure von mir unbestrittene Liebe zur Literatur erschöpfte sich in der von euch wortklaubend besorgten Zensur. So nah standen wir eurem Herzen, daß dessen Pochen uns den Schlaf nahm. Eure Fürsorge hieß Beschattung. Rund um die Uhr habt ihr Schatten geworfen. Tagundnachtschatten seid ihr. In Armeestärke fiel Schatten auf uns. Dem ganzen Land als Schattenspender verordnet. Doch insbesondere uns wart und seid ihr danebengestellt. Deshalb sollte der Aufsatz von dazumal nunmehr ›Die gesellschaftliche Stellung beschatteter Schriftsteller‹ heißen, denn seitdem hat sich einiges verändert, doch nichts im Prinzip.« Nur einen Augenblick lang hörte Fonty seinen letzten Worten nach, dann stieg er über die steingehauenen Stufen und die märkischen Findlinge vom Denkmal herab, schonte Krokusse und Märzbecher und vergaß vor seinem Abstieg nicht, Hut, Shawl und Stock mitzunehmen, die er, wie befohlen, auf dem Bronzehut und seitlich des ehernen Wanderstabs abgelegt oder beiseite gestellt hatte. Langsam, mit
Weitere Kostenlose Bücher