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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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gehalten hätte. Nachdem ihm mit mehr oder weniger präziser Erinnerung gedient werden konnte – Mitte Mal 52 habe ich im Güstrower Schloß meine Berliner Milieustudie vorgesungen –, sagte er mit erzengelhafter Strenge: Ihm sei es unmöglich, ein so nachsichtiges Ende wie in ›L’Adultera‹ zu akzeptieren. Für ihn stehe geschrieben wie ungeschrieben das Treuegebot fest. ›Versprochen ist versprochen‹ hieß seine bekümmert vorgetragene Maxime. Gleichzeitig schien er zu bedauern, in Moralfragen nicht (wie ich) ein wenig lax sein zu dürfen. Dann kam er auf Güstrower Einzelheiten, um mit dem Urteil ›Die Mißachtung des Bildhauers Ernst Barlach hat den Güstrowern bleibende Schande bereitet‹ einen Schlußstrich zu ziehen und die ihm seit Schülerjahren, wie er sagte, anhängliche Stadt zu verlassen. Das hieß, versteht sich, er war noch immer auf diesen Ort und dessen Umgebung, überhaupt aufs Mecklenburgische fixiert. Deshalb erlebte ich ihn in Grenzen glücklich, weil er, trotz Republikflucht -er sprach beharrlich von einem notgedrungenen Wohnsitzwechsel –, besuchsweise von Zeit zu Zeit einreisen durfte, wahrscheinlich dank vermittelnder Hilfe; als hochangesehenes Akademiemitglied glaubte der Kollege Hermlin damals, dem Ohr des höchsten Genossen nahezustehen. (Natürlich versagte ich mir, von Friedel oder gar Teddy zu erzählen, denen solche Gunst nie zuteil wurde, ganz zu schweigen von unserem Georg.) Dann mußte ich meinen Banknachbarn über den dritten Kongreß des Kulturbunds in Leipzig informieren – er wußte das Datum, den 19. Mai 51, genauer als ich – und ihm die Höhepunkte der dazumal angestrengten Formalismusdebatte schildern. Als er mich allzu spitzfindig – und wie nach Verhörmethode – in ein ›Lukács und die Folgen‹ betreffendes Für und Wider einspannen wollte, bekannte ich meine schwankende Parteilichkeit in dieser Sache, räumte aber ein, damals eher gegen die Richtung Brecht-Seghers tendiert zu haben. Dann nannte ich ihm alle Gesetze zur Förderung der Schriftsteller, aufgelistet unter dem Titel: ›Unsere Regierung fördert die Intelligenz‹. Herzlich lachten wir über diesen ledernen Unsinn. Er war ja nicht ohne Humor, belustigte sich aber auf verflixt hintergründige Weise, so daß man der eigentlichen Pointe nie sicher sein konnte. Doch weil ich für ihn, der sich gerne angelsächsisch gab, ein gewisses liking hatte, lachte ich mit, oft ohne zu wissen, warum. Nur in Sachen Moral war mit ihm nicht zu spaßen. Als Saubermann hohen Grades kam er immer wieder auf die damals zwar als Skandalfall empfundene, auf längere Sicht jedoch befreiende Wirkung von ›L’Adultera‹, mithin auf den Ehebruch zurück, den er prinzipiell bestraft sehen wollte. Ich ließ ihn reden, bestand aber darauf, daß Melanies dem Leben entnommenes Vorbild, eine Dame der Berliner Gesellschaft, bis in ihre späten Tage glücklich oben in Ostpreußen gesessen habe, und zwar unter einer Menge von Bälgern, geliebt und geachtet von ihrem Rubehn, dessen außerliterarischer Name Simon gewesen sei. ›Ich weiß‹, sagte er bitter und haderte mit der aus seiner Sicht unverdienten Idylle. Inzwischen mußte sich die sitzende Bronze eine Schulklasse gefallen lassen, deren Lehrer so lautstark das ›kulturelle Erbe‹ rühmte, daß man meinen mochte, der Arbeiter- und Bauern-Staat habe den Unsterblichen, der als ›bürgerlichfortschrittlich‹ klassifiziert wurde, aus freien Stücken hervorgebracht. Und dann überraschte mich mein so unglücklicher wie liebenswürdiger Kollege – na, Mete, dämmert es Dir? – mit einem Geschenk. Aus seiner -natürlich! -schwarzen Ledertasche holte er eine Handschrift, die, dem vierten Band seiner zwar strapaziösen, doch insgesamt überragenden Jahrestage‹ entnommen, meinen ›Schach‹ zum Mittelpunkt hat; eine Episode von wenigen Seiten nur, aber ein Kabinettstückchen! Gelungen der Lehrer. Furchtbar richtig getroffen die ideologische Enge damaliger Zeit.
    Um Dir auf die Lektüre Appetit zu machen: Es handelt sich um eine mecklenburgische Schulklasse, die im Herbst 50 den ›Drückeberger‹ Schach liest. Man erfährt, in welch besonders tückisch brennende Nesseln sich dabei der Lehrer Weserich setzt. Ferner geht es um die Bedeutung von Straßennamen, aber auch darum, welche Mühe die armen Schüler mit den vielen Fremdwörtern haben; wobei ich Dir gegenüber zugebe, daß es mir, als ich noch Junglehrer war, nicht leichtgefallen ist, auf Nonchalance und Embonpoint

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