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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Räume, wie der vor roter Tapete möblierte Schinkelsche Salon und des Unsterblichen blaues Gedenkzimmer, darin Vitrinenschränke voller Krimskrams, der Klapptisch, ein Pfeilerspiegel und unbenutzte Stühle an eine Zeit erinnern, die in der Potsdamer Straße eine weit engere Wohnung und abgewetzte Sitzmöbel auf knapperem Teppich geboten hatte.
    Zurück aus Neuruppin durchlebte Fonty noch einmal den Kurzbesuch des Heimatmuseums, das er in einem Brief an seine Tochter Martha »ein belehrendes Sammelsurium« nannte. »Vermißte allerdings Dachreiter und Wetterfahnen …« Dann kam er auf die Begegnung mit dem Denkmal, das bei ihm durchweg »sitzende Bronze« hieß. »Keine frische Erkenntnis fiel ab, nur zu viel Gequatsche über Ähnlichkeit, weil ich diesmal nicht allein (und wie auf Stippvisite) vorbeischaun und mich bei einem nur uns beredten Zwiegespräch vergnügen konnte. Du weißt ja, daß es mir selten gelingt, meinen Tagundnachtschatten abzuschütteln, um als ein anderer Peter Schlemihl das Weite suchen zu dürfen. Früher half mir manchmal das Glück, auf Vortragsreise auszubüchsen und auf ein Stündchen mit der sitzenden Bronze allein zu sein. Oder es kam zu Treffen nach meiner Wahl, so geschehen vor siebeneinhalb Jahren, als ich Rheinsberg, die Ruppiner Umgebung und zwischendurch die mir fremd gewordene Garnisonstadt besuchte, um dort eine immer wieder aufgeschobene Verabredung einzuhalten, die aus gewissen Gründen schwierig aufs Datum zu bringen war. Das Ganze lief als Geheimsache, sozusagen ›top secret‹. Jedenfalls hoffte ich, bei übrigens trockner Augusthitze, unbeschattet zu sein, als diese merkwürdige und mir bis heutzutage Rätsel aufgebende Begegnung stattfand. (Du warst wohl damals ferienhalber, wie später häufig, an der Schwarzmeerküste.) Vorerst lasse ich Dich noch raten, wer mich, einen eher vorsichtigen Zeitgenossen, zu solch einem konspirativen Treff hat verlocken können, zudem an so prominenter Stelle. Das war ausgemacht, gleich ob der Vorschlag von ihm oder mir gekommen ist. Als vorteilhaft erwies sich, daß wir -kaum hatten wir uns getroffen – den Anblick der sitzenden Bronze mit einzelnen Touristen, Gruppenreisenden und später sogar mit einer Schulklasse aus Perleberg teilen mußten; auf einer der Parkbänke konnten wir als unauffällig gelten. Trotz der Hitze hatte mich Neugierde überpünktlich sein lassen. Er kam auf den Glockenschlag zu unserer Verabredung, die übrigens, durch Zettelbotschaften vermittelt, über ein Akademiemitglied lief, das uns beiden günstig gesonnen war. Du wirst Dich fragen: Warum gerade dort? Nun, weil nicht nur ich, sondern auch er immer wieder die Nähe des Unsterblichen gesucht hat, er freilich auf gesucht umständliche Weise, etwa, indem er orakelte, er wolle nur »Grüße von Ossian« übermitteln. So kannte ich ihn von früheren Treffen, als er mir in Gestalt eines lang aufgeschossenen Jünglings begegnete, der noch hellbeflaumt und bei Gesundheit war; doch schon damals – Mitte der fünfziger Jahre – verwirrte (und amüsierte) mich seine furchtbar verzwickte Gradlinigkeit. Nun, meine Mete, kommt Dir ein ahnungsvolles ›Aha!‹ über die Lippen? Wie gesagt, ich war da, als er kam. Mag sein, daß die Hitze ihm zusetzte. Jedenfalls näherte er sich mit hochgerötetem Schädel und in erbärmlichem Zustand, wie ich bald merken mußte. Stelle Dir bitte einen ungeschlachten Menschen vor, der vornüber gebeugt und heftig schwitzend auf Dich zukommt, dabei ganz und gar in Schwarz gekleidet ist, nicht nur die Jacke schwarzledern, auch der Schlips, und das in praller Sonne. Nicht zu übersehen war, daß sich in seiner überanstrengten Gestalt ein, wie man mir vorwarnend signalisiert hatte, fortgeschrittener Alkoholiker verbarg, von dessen äußerer, wie aufgeschwemmt wirkender Erscheinung etwas Bedrohliches ausging; dabei war alles, was er sagte, zierlich gedrechselt und manchmal von närrisch verkorkster Manier. Entfernt erinnerte er mich an Storm und dessen verbohrte Husumereien, denen seine Güstrowiaden bis ins Schrullenhafte entsprachen. Kaum hatten wir die sitzende Bronze den Touristen überlassen und uns auf eine nahe Bank gesetzt, da bat er mich schon um Auskünfte, die meine allerfrüheste Tätigkeit beim Kulturbund betrafen. (Für den Aktenboten Wuttke brachte er keinerlei Interesse auf.) Der in ihm steckende Detailkrämer wollte wissen, wann und wo ich meinen Vortrag ›Melanie und Rubehn, ein Ehebruch mit glücklichem Ausgang‹

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