Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
Klettertour!«
    »Genau in die Lücke dazwischen setzen!«
»Komme mir albern vor …«
»Los doch!«
Also stellte Fonty seinen weit kürzeren Wanderstock
    neben dem in Bronze gegossenen ab.
»Nun den Hut, den Hut runter!«
Also stülpte er seinen Hut, der beim Klettern ein wenig
    verrutscht war, auf den um mehrere Nummern größeren Abguß. Mit Mühe erklomm er die ihm zu hohe Steinbank, schaffte es endlich.
    »Na also!«
    Einige Zeit verging, bis er unbequem auf dem metallenen, zwar flach, aber doch faltig aufliegenden Mantelsaum des Dichters der Mark saß. Komisch sah das aus, wie seine zu kurz wirkenden Beine baumelten.
    »Nun das rechte Bein übers linke!«

    Also kopierte er den Überschlag und wartete weitere
    Befehle ab.
»Der Hut hängt schief. Geraderücken! Jetzt den Stock
weniger schräg. Genau! Und nun noch den Shawl vom
Hals und über die Lehne. Jadoch! Wir schaffen das schon. Sieht prima aus.«
Dann wurde er angewiesen, mit
übereinandergeschlagenen Beinen ein bißchen nach links
zu rutschen, noch ein bißchen.
»Gut so, Fonty. Das macht sich.«
Aber wohin mit den Händen? Er wagte es nicht, sich auf
dem ehernen Knie des Dichters abzustützen oder nach
dessen auf steinerner Lehne abgelegten Shawl zu greifen,
weil das nicht ins Bild paßte. Schließlich nahm er, ohne
    weiteren Befehl abzuwarten, die vorgegebene Haltung ein. Ungefähr glich er sich an, wenn auch ohne Bleistift und Notizbuch. Hoftaller schien zufrieden.
    Welch eine Anmaßung! jetzt hätten wir »ridikül« rufen können. Doch auch Fonty spürte das Überlebensgroße, nun, da er Arm an Arm saß. Neben ihm dominierte das Original. Zwar mangelte es nicht an Ähnlichkeit, doch wirkte die verkleinerte Ausgabe wie ein geschrumpftes Modell.
    Hoftaller, der unten breitbeinig mit Zigarre stand, wies ihn nun an, die gleiche Blickrichtung einzunehmen. »Nicht einfach in die Ferne, in Richtung Bahnhof gucken!« rief er.
    Jetzt schauten beide dorthin, wo einst auf einer Station, die Paulinenauer Bahnhof hieß, die Eisenbahnzüge von Berlin herkamen, nach Berlin abfuhren. Damit hätte die Vorstellung ein Ende finden können, wenn nicht an diesem zuerst verregneten, dann sonnigen Märztag der Zufall mitgespielt hätte.
    Aus der Tiefe der Parkanlage kam Publikum. Ein schon älteres Paar, er deutlich betagter als sie, näherte sich dem Denkmal. Sie mager, hochgewachsen und von gotischem Reiz, er bullig gedrungen. Ein wenig vorgestrig sahen sie aus. So betont er mit Baskenmütze und in gebeugter Haltung den Pfeife rauchenden Künstler auf Motivsuche abgab, war sie es doch, die den Photoapparat in Anschlag brachte. Eine Idee, die uns hätte kommen sollen, wurde von einem Paar realisiert, das, ohne Rücksicht auf die gestellte Szene, nun in unseren Bericht einbricht: Störend und doch wie selbstverständlich kamen sie dem erzählten Verlauf dazwischen, sozusagen ein Intermezzo lang. Sie knipste, er gab Anweisungen. Sein Interesse an Details war verräterisch. So mürrisch er über die leicht schiefsitzende Brille hinweg dreinblickte, schien er dennoch bei Laune zu sein: »Toller Guß! Siehste, sitzt auf Granit. Beißt sich kolossal, hätte unser Freund da oben gesagt. Jetzt von vorne. Bißchen mehr Abstand. Paß auf die Entfernung auf.« Da sie zu ihm Vadding, er zu ihr Mudding sagte, schienen beide von der Küste zu kommen, aus Vorpommern etwa. Sie hatte Mühe beim Photographieren, weil ihr die langen und obendrein gekräuselten Haare immer wieder die Optik verhängten. Er brummelte unterm hängenden Schnauz: »Das kommt, weil du keinen Hut tragen willst, nicht mal ne Mütze. Nun im Halbprofil, ja, von hier aus.« Fonty saß wie in Erz gegossen; auch Hoftaller stand samt Zigarre versteinert. Das Paar jedoch wollte weder den Tagundnachtschatten im Vorfeld des Denkmals noch das als Double erhöht sitzende Objekt wahrnehmen. Beide waren ihnen Luft. Und zum Beweis rief der Pfeifenraucher: »Guck mal, neben unserem Freund ist viel Platz. Möchte wetten, der war heut in Friesack und will gleich weiter in Richtung Rheinsberg laufen. So, nur noch die Inschriften, das reicht dann.« Einen halben Film wird sie Bildchen nach Bildchen abgeknipst haben. Ihm ging immer wieder die Pfeife aus. »Paß auf mit der Asche«, sagte sie. Dann verschwanden sie endlich in Richtung Stadt: ein ungleiches Paar, das einen ganz anderen Roman lebte. Wir aber haben noch lange über Fiktion und Wirklichkeit nachdenken müssen, und Fonty, der beispielhaft stillgehalten hatte, wird sich

Weitere Kostenlose Bücher