Ein weites Feld
Intendanturrat, später Vortragender Rat, Korpsintendant, schließlich Wirklicher Geheimer Kriegsrat dem Bildhauer Modell gesessen habe und das gleichfalls und mit Eselsgeduld für das marmorne Denkmal im Tiergarten. Das sehe man doch. Ganz ungeistig witzlos sei die Ausstrahlung der Bronze. Alles wirke bieder und ledern. Der ganze Kerl stecke im Leihkostüm.
»Ein kostümierter Krautjunker!« rief Fonty, nun sichtlich erregt. Doch so empört er war, blieb er dennoch sitzen: »Dazu ein ewiger Prinzipienreiter. Frömmelte obendrein, mein Herr Sohn, dem selbst ein schnellgereimter Prolog für das Fest der französischen Kolonie zuviel Mühe war. Alles blieb bei mir hängen. Aber er jammerte, es habe ihm an wahrer Vaterliebe gefehlt. Als ob unsereins auf Rosen gebettet gewesen wäre. Im Gegenteil! Mein alter Herr hat sich den Teufel um seinen Filius gekümmert. Wie hätte er auch sollen oder können. War selber eine sprichwörtlich verkrachte Existenz. Der eine wie der andere. Doch beide am Ende bei ihrer Schweinemast oder Karnickelzucht zufrieden mit sich, wenn auch voller Verachtung für Neuruppin, dieses Garnisonsnest, diese Philisterzuchtanstalt und deutschnationale Brutstätte der braunen Pest. Der alte Wuttke hat nie verwunden, daß sie ihm hier, gleich gegenüber, wo noch der Schornstein von Oehmigke & Riemschneider steht, nur weil er Sozi war, gekündigt haben. Immer wieder arbeitslos danach! Und die Ehe im Eimer. Und als er nach dem Krieg hier wieder, samt Ortsverein, Sozi sein wollte, haben ihn die Kommunisten wie einen räudigen Hund behandelt, so daß ihm nichts als Flucht in den Westen blieb. Neuruppin! Ein verschinkelter Exerzierplatz! Und doch fing hier alles an. Die ersten Quartanergedichte. Und als dann feststand: Dichter bin ich, Schriftsteller will ich werden, hat der Alte nur gelacht: ›Mach mal!‹ Hat ja recht gehabt mit seinem Spott: ›Ein Tintensklave mehr!‹« Das alles im Sitzen herausgepreßt. Doch dann rutschte Fonty von der Steinbank und wollte nicht mehr auf dem kalten, feucht beschlagenen Faltenwurf der Bronze kleben. Er stellte sich vor den bekrittelten Abguß. Nun, da er sich ausgekollert hatte, stand er zu freier Rede bereit. Vor ihm die märzliche Parkanlage und unten, sozusagen zu seinen Füßen, lauerte Hoftaller, sein auf kleinsten Nenner geschrumpftes Publikum.
Doch auch wir waren gespannt und erwarteten den großen Entwurf, wurden aber, kaum hatte er mit ersten Worten das Thema benannt, abermals enttäuscht. Er zapfte einen Aufsatz an, der 1891 mit dem Titel »Die gesellschaftliche Stellung der Schriftsteller« unter dem Decknamen »Torquato« im »Magazin für Literatur« veröffentlicht worden war und auf wenigen Seiten die ganze Misere der schreibenden Zunft, besonders der deutschen preisgegeben hatte; vor hundert Jahren ein Skandal, doch heute? Fonty war der Meinung, es habe sich hierzulande – er sagte: »im Prinzip« -nichts geändert. Deshalb sprach er vom Denkmal herab wie aus aktuellem Anlaß über die »catilinarischen Existenzen«, wobei er, zum besseren Verständnis und offensichtlich ein größeres Publikum imaginierend, den römischen Verschwörer Catilina als Vorläufer der Literatur zu sich aufs Podest holte und dann streng nach unten wies, wo er den Gegenspieler, »die observierende Antimacht, das Prinzip Tallhover« ausmachte. ›Jadoch!« rief er. »Was wären wir ohne Zensur, ohne Aufsicht? Sie, mein auffällig unauffälliger Herr, sind schlechterdings unser gutes Gewissen!« Nachdem er diese besondere Form der Arbeitsteilung als zünftig akzeptiert hatte, kam er auf den miesen Ruf der gesamten Zunft zu sprechen. Noch immer einführend in sein Thema, zitierte er aus einem Brief an Friedrich Stephany: »Furcht ist da, aber nicht Respekt. Und der letzte Steueroffiziant gilt im offiziellen Preußen mehr als wir, die wir einfach ›catilinarische Existenzen‹ sind.« Jetzt stand er nicht mehr, sondern ging vor der sitzenden Bronze auf und ab, als hätte er die rotchinesische Teppichbrücke seiner Studierstube unter den Füßen. Und aus diesem Auf und Ab begann Fonty, die miserable Stellung der Schriftsteller zu entwickeln: »Die mit Literatur handeln, werden reich, die sie machen, hungern entweder oder schlagen sich durch. Aus diesem Geldelend resultiert dann das Schlimmere: der Tintensklave wird geboren. Die für ›Freiheit‹ arbeiten, stehen in Unfreiheit und sind oft trauriger dran als mittelalterliche Hörige.« Dann kam er auf die großen Namen der
Weitere Kostenlose Bücher