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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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zu verzichten, zumal mir die Arbeiter- und Bauern-Macht das Abgewöhnen des welschen Salontons wie eine Wurmkur verschrieben hatte. Um meinen über Gebühr langen Brief noch gewichtiger zu machen, lege ich Dir die Handschrift meines Dr. Mutmaßlich bei und hoffe, Dir mehr als nur ein Lesevergnügen zu bereiten; denn einerseits wird der pädagogische Zwang zur sozialkritischen Sicht mit Ironie bedacht, andererseits aber die Schlittenfahrt der Offiziere vom Regiment Gendarmes mit Blick auf den Klassenfeind gespiegelt: der teure Salzschnee mitten im August, die hochmütigen Herrn Leutnants. Übrigens sind in dieser Episode etliche den ›Schach‹ betreffende Briefe zitiert, so die von mir geteilte Klage, ewig als ›märkischer Wanderer‹ stigmatisiert zu sein. Desgleichen findet sich das allzu vordergründige Lob meines Talents für das Gegenständliche erwähnt; dabei wurde doch alles, bis auf den letzten Strohhalm, erfunden: In der Tempelhofer Kirche bin ich nie gewesen, Schloß Wuthenow existierte nirgendwo, und in einem Brief an Mama habe ich mich über einen märkischen Geschichtsverein amüsiert, der, bald nach Erscheinen der Novelle, eine Schiffsfahrt über den See bis hin zum Schloß angekündigt hatte. Im Fall ›Schach‹ siehst Du, wie genau man lügen muß und wie brühwarm der geneigte Leser jegliche Suppe löffelt, wenn sie zuvor literarisch gewürzt und fein abgeschmeckt wurde. Der Zufall – so es ihn gibt – wollte es, daß die um die sitzende Bronze gescharte Schulklasse gleich uns auf das Muster und Opfer des Lächerlichseins fixiert war; wir hörten den Lehrer tönen. Natürlich habe ich mich artig für die überaus leserliche Abschrift bedankt, bei einem Autor übrigens, den man gleichfalls abgestempelt und in ein Kästchen namens ›Dichter der deutschen Teilung‹ gezwängt hat. Das ist ridikül wie alle Schablonen. Nein, er war in Sachen Literatur eine Eins und zweifelsohne ein Solitär, dessen erschreckender, wenig später gemeldeter Tod mich einsam gemacht hat. Ach, meine Mete, wie ausgestoßen er dasaß, wie sehr um Haltung bemüht. Schwitzend der massige Schädel, dem kein Haar mehr erlaubt war. Ach, hätte ich doch einen Lorbeer zur Hand gehabt!
    Gewiß: Vieles an ihm befremdete, das furchtbar Teutonische in seinem Gehabe stieß sogar ab; und doch würde ich, sollte mir jemals eine Reise nach England möglich werden, in Sheerness-on-Sea, wo er elend zu Tode kam, ein Immortellenkränzchen hinterlegen … Aber wie er, in seiner Strenge gefangen, neben mir saß, war er nur zu bedauern. Zudem galt um jene Zeit, als wir in Neuruppin unseren ›konspirativen Treff‹ abhielten, seine Ehe als zerbrochen. Woran? Ich vermute normale Eifersucht, die allerdings in seinem Fall so kräftig fiktionale Sumpfblüten getrieben hatte, daß alle Welt, sogar sein Verleger der haarsträubenden Legende glaubte. Mich hingegen haben selbst die finstersten Andeutungen nicht überzeugen können, wenngleich ich wußte und weiß, welcher Ränke die uns verordnete Staatssicherheit fähig war und wohl immer noch ist. Allzu begierig saß er der Bestätigung seiner Sucht, der immer griffigen These vom Verrat auf, dabei wird es, wie meistens im Leben, nur ein Schritt vom Wege gewesen sein; die Legende jedoch war literarisch gefälliger. Aus naheliegenden Gründen konnte unser Geheimtreffen nicht verborgen bleiben. (Kaum in Berlin zurück, wußte dieser und insbesondere jener davon.) Gnädigerweise hat mein Tagundnachtschatten diese ›ungenehmigte Kontaktnahme‹ mit Nachsicht bewertet und den in seinen Papieren unter dem Decknamen ›Ossian‹ geführten ›Fall Johnson‹ mit der Zensur ›behördliches Fehlverhalten aus ideologischem Übereifer‹ bedacht. Noch kürzlich, als wir zu zweit vor der sitzenden Bronze standen, sagte er: ›Dieses schwierige Talent hätte sich bei uns abklären und entwickeln müssen, nicht drüben, allein auf sich gestellt und dem Markt überlassen. Wir haben uns mangelnde Fürsorge vorzuwerfen.‹ Das hat er tatsächlich gesagt, ›mangelnde Fürsorge‹! Nichts über den Tod im extrem abseits gesuchten Exil. Nichts über die verbandsinterne Ignoranz und den Kantschen Imperativ kategorischer Feigheit. Und natürlich kein Wort über die zerbrochene Ehe. Womit wir bei Dir und Deinen Schweriner Garstigkeiten sind. Du klagst und klagst, doch glaube mir, woanders wohnen auch Leute, die Grund zur Klage haben. (Seit Wochen beunruhigen mich die Notschreie meines Brieffreundes aus Jena, so

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